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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus
Autoren: Gerald Messadié
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ein Mann, der Sohn eines Gottes und einer Sterblichen: Herakles, Mithras, Tammuz, Dionysos, Sinnbilder des göttlichen Samens, der die Materie erschafft und gestaltet. (Es ist gewiß kein Zufall, daß sich die Worte »Mutter« und »Materie« in allen indoeuropäischen Sprachen so ähnlich sind.) Die Frau, wie beispielsweise die Mutter Mithras’, die ihn empfing, nachdem sie durch den vom Mond herabgefallenen Samen befruchtet worden war, bringt einen Helden zur Welt, der unweigerlich ein Fremder, ein allogenés, sein wird. Alle seine Wohltaten bringen ihm nichts als die Undankbarkeit der Menschen ein, wie Herakles, der trotz seiner zwölf vollbrachten Arbeiten einen qualvollen Tod erleiden muß. Er ist der Unverstandene per definitionem, und hierin finden wir ein Grundthema der Gnosis: Niemand versteht, was er sagt. Schließlich wird er hingerichtet, oder aber er stirbt in einem himmlischen Kampf. Doch er erlangt Unsterblichkeit und dient .von nun an der Menschheit als ebenfalls himmliches Leuchtfeuer. Sogar bei den Ägyptern, die doch lange vor Entstehung der Mehrzahl dieser Mythen gelebt haben, taucht dieses Schema in ganz ähnlicher Form auf: Osiris wird von Seth getötet, zerstückelt, um dann — in mühsamer Arbeit durch Isis, die das dreizehnte Stück, das Geschlecht, nicht mehr finden kann — wieder zusammengesetzt zu werden, woraufhin er in den Himmel aufsteigt.
    Die Essener, Jesus’ mutmaßliche Lehrer, halten sich ebenfalls an diese Struktur. Sie haben ihren Messias, den Meister der Gerechtigkeit, schon gehabt und warten folglich nur noch auf das Ende der Welt. Sie verhalten sich mitten unter den Juden wie Fremde, allogénoi, und paradoxerweise verabscheuen sie die Juden sogar. Hieraus erklärt sich der vereinzelt bei den Spätgnostikern und vor allem bei den Evangelisten auftretende antisemitische Beigeschmack. Sowohl die kanonischen als auch die apokryphen Evangelien neigen dazu, von den Juden wie von Fremden zu sprechen, so als wären die Autoren der Texte selbst keine Juden. Dafür gibt es eine theologische Erklärung: Das Judentum schließt die persönliche Offenbarung aus, weil man hinter ihr den gefährlichen Einfluß der asiatischen Religionen und Ekstasen nach Drogengenuß wittert, spielen doch in den asiatischen Religionen Drogen eine bedeutende Rolle.
    Ab und zu gebraucht Jesus einen Ausdruck, dessen Sinn in der christlichen Exegese praktisch verlorenging, gemeint ist der Begriff »Menschensohn«. Im Hebräischen ist er vollkommen ungebräuchlich. Doch es ist sehr unwahrscheinlich, daß Jesus während seiner Reisen Hebräisch sprach, da dies die Sprache der Gebildeten und vor allem die des Klerus war; er sprach also Aramäisch, und der Ausdruck in dieser Volkssprache stimmt nachdenklich: Bar anas heißt sowohl »Menschensohn« als auch »Sohn des Ehemanns«, was im letzten Fall soviel bedeutet wie eheliches Kind. Wenn er vom Menschensohn sprach, so geschah das immer mit großer Feierlichkeit, die in besonderem Einklang mit dem Anos-Uthra der Gnostiker zu stehen schien. Vielleicht ist der Begriff jenes »Sohnes« als vollkommenes Abbild seines Schöpfers zu verstehen, der am Ende der Zeiten wiederkehren wird. Dies wäre seine persönliche Interpretation des Messiasgedankens. Meiner Meinung nach muß man genau in diesem gnostischen Thema nach einem der Schlüssel für seine Lehre suchen. Aber ich möchte hier keineswegs den Anschein erwecken, im Handumdrehen eine Bezeichnung abzuhandeln, in der ein so besonnener Denker wie Guignebert »das undurchsichtigste aller neutestamentlichen Probleme« sieht.
    Alle diese Betrachtungen waren schwer in eine romanhafte Erzählung einzubringen. Ich habe deshalb versucht, sie so kurz wie möglich in diesem Nachwort zusammenzufassen. Auf zwei Punkte möchte ich abschließend noch näher eingehen, nämlich auf das Verhalten der Jünger und auf Jesus’ Werdegang nach der Kreuzigung.
    Das Verhalten der Jünger kann, offen gesagt, nur als jämmerlich bezeichnet werden. Johannes, neben Thomas offenbar der einzige Zeuge von Jesus’ Lebensgeschichte, dessen Bericht uns erhalten blieb, erwähnt mit keinem Wort die Anwesenheit eines weiteren Jüngers unter dem Kreuze oder beim Begräbnis. Daß Johannes als einziger behauptet, unter dem Kreuz gestanden zu haben, was sonst in keinem anderen kanonischen oder apokryphen Evangelium erwähnt wird, erscheint mir suspekt. Noch verdächtiger wird das Ganze, wenn Johannes vorgibt, daß Maria, Jesus’ Mutter, ebenfalls
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