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Düsterbruch - Almstädt, E: Düsterbruch

Düsterbruch - Almstädt, E: Düsterbruch

Titel: Düsterbruch - Almstädt, E: Düsterbruch
Autoren: Eva Almstädt
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1. Kapitel
    D ieser Ort ist kein schlechtes Omen, versicherte sich Oxana. Sie standen zu dritt vor dem Altar der Düsterbrucher Kirche, um mit dem Pastor Jörgs ihre Hochzeit zu besprechen. Durch die drei Fenster in der Apsis fiel nur wenig Licht. Es war später Nachmittag, und die Dunkelheit kroch die alten Feldsteine hinauf.
    Oxana Markowa verschränkte fröstelnd die Arme vor der Brust. Sie versuchte, sich ihre russischen Verwandten und die »Geschäftsfreunde«, die ihr Bruder Fjodor unweigerlich anschleppen würde, hier in den Kirchenbänken sitzend vorzustellen. Die würden denken, sie seien im falschen Film! Einfach, schmucklos, fast schäbig wirkte die Kirche in der Dämmerung. Nein, schäbig wollte sie nicht denken. Es war eine ländliche Feldsteinkirche. Überhaupt kein Vergleich zur Nikolaus-Marine-Kathedrale in St. Petersburg. Als sie eben Pastor Krispin gegenüber ihre Zweifel, die feierliche Ausstattung der Dorfkirche betreffend, angedeutet hatte, war er für einen Moment irritiert gewesen. Dann hatte er sie milde lächelnd auf ein verwaschen aussehendes Heiligenbild aus dem fünfzehnten Jahrhundert hingewiesen. Genau. Darauf würde sie jeden mit der Nase stoßen, der eine abfällige Bemerkung über diese Umgebung machen sollte.
    Jörg lag viel daran, in der Kirche von Düsterbruch zu heiraten. Generationen von Seesens waren hier getauft, konfirmiert, verheiratet und ausgesegnet worden. Immerhin hatten sie für die anschließende Feier einen ausreichend großen Saal reservieren können. Aber auch hier war die Dekoration ein Problem. Und weder Jörg noch seine Mutter oder Schwester wussten, was Tamada war. Geschweige denn, dass eine professionelle, zweisprachige Moderation unabdingbar zu einer deutsch-russischen Hochzeit dazugehörte.
    »Wollt ihr zusammen zum Altar gehen, oder wird Ihr Vater oder ein anderer Verwandter Sie hinführen, Frau Markowa?«, unterbrach der Pastor ihre Gedanken.
    Oxana zuckte mit den Schultern. Sie kannte sich mit protestantischen Hochzeitsbräuchen nicht aus. Und sowieso: Ihre Eltern waren beide tot.
    »Kein amerikanischer Quatsch, wir gehen zusammen!« Jörg wippte auf den Fußballen auf und ab. Oxana wusste, dass es ihn nach draußen zog. Er erwartete die Geburt zweier Kälber. Nicht, dass sein Highland Cattle das nicht sehr gut allein zu Wege brachte … Aber in geschlossenen Räumen herumzustehen und Däumchen zu drehen war ihrem zukünftigen Ehemann ein Graus. Sie warf ihm einen verständnisvollen Blick zu. Da schwang die Kirchentür auf. Begleitet von einem Schwall frischer Luft stand eine Frau auf der Schwelle. Zuerst sah Oxana nur ihren Umriss, der sich von dem helleren Hintergrund abhob. Die Frau verharrte kurz, als müsste sie sich erst orientieren. Dann ging sie steif und ungelenk wie eine Marionette den Mittelgang herunter.
    Jörg erkannte sie als Erster. »Mutter?«, fragte er und eilte auf die Gestalt zu. Es war tatsächlich Hedwig Seesen, auch wenn sie sich bewegte, als wäre sie ferngesteuert. Nach ein paar Metern blieb sie stehen und hielt sich an einer der Bänke fest.
    »Jörg!« Hedwigs Stimme hallte dumpf im Kirchenschiff wider.
    Oxana riss sich von dem irritierenden Anblick los und ging auf die beiden zu. Sie ergriff Hedwigs Hand. Beinahe hätte sie sie wieder losgelassen. Sie konnte die Handknochen spüren – zerbrechlich und eiskalt. »Ist dir nicht gut, Hedwig?«, fragte sie beunruhigt.
    »Es tut mir leid.« Hedwigs Blick war auf ihren Sohn gerichtet. Die Wolkendecke riss auf und ließ noch ein paar späte Sonnenstrahlen hindurch. Das Licht fiel durch die Kirchenfenster auf einige Bankreihen und in den Mittelgang, und es erhellte auch Hedwigs Gesicht. Oxana bemerkte ein paar dunkelrote Spritzer darauf. Sie hielt erschrocken die Luft an. Das sah ja aus wie … Es war keine Einmachzeit, was konnte es also anderes sein als … Blut?
    »Sind Sie verletzt? Gab es einen Unfall, Frau Seesen?« Der Pastor hatte es offenbar ebenfalls gesehen.
    »Was ist denn passiert, um Himmels willen?« Jörg registrierte nicht einmal, dass er in einem Gotteshaus laut wurde.
    Hedwig schwankte, sagte aber kein Wort. Sie fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. Dabei verwischte sie die Spritzer zu grotesken, roten Schlieren. Ihre Haut war so blass wie die weiß gekalkten Kirchenwände, und sie zitterte am ganzen Körper.
    »Woher kommt das Blut, Mutter?«
    »Blut? Ach, dieses Blut …« Hedwig rieb ihre verschmierte Hand achtlos am Hosenbein ab. Sie schien mit ihren Gedanken
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