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Ein Mann fürs Grobe

Ein Mann fürs Grobe

Titel: Ein Mann fürs Grobe
Autoren: Horst Bosetzky
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hinterher bezahlte.
    Tscharntke sah dem Ingenieur hinterher, wie er am Eingang in Empfang genommen wurde. Männer seiner Güteklasse kassierten mindestens 300000 im Jahr, als Taxifahrer hatte man maximal 3000 im Monat, also 36000 per annum, das waren – ohne Taschenrechner – gerade mal zwölf Prozent.
    Wenn er heute auf sein Soll kommen wollte, hatte er bis etwa drei Uhr früh auf dem Bock zu sitzen. Jetzt drohten ihm erst einmal die Leerkilometer, fünf bis zehn, denn in Ostberlin war das Taxifahren weiterhin ein Luxus, den sich nicht viele leisten konnten oder wollten. Die Frage war jetzt: den nächsten Halteplatz anfahren oder suchend durch die Straßen rollen? Der nächste Stand war Möllendorffstraße, Ecke Frankfurter Allee; Bahnhof Lichtenberg und Volkrad-, Ecke Balatonstraße wären auch noch gegangen. Das war in Friedrichsfelde, und wenn er dort hinfuhr und wartete, konnte er hoffen, daß Katja mit Maja und mit Marc vorbeikam. Die Kinder waren bei der Mutter geblieben.
    Doch er hatte Pech, er sah sie nicht.
    Dafür bekam er eine Fahrt zum Flughafen Schönefeld. Ein Kriminalschriftsteller aus der Moldaustraße wollte in die Ferne fliegen.
    «Für mich ist jeder Flug ein teuer bezahlter Selbstmordversuch», sagte Tscharntke.
    «Als Taxifahrer sind Sie viel gefährdeter.»
    «Da könnt’ ich Ihnen so einiges erzählen...» Tscharntke gab unwillkürlich Gas. «Neulich hat mir einer von hinten einen Schal um den Hals geworfen und wollte mein Geld. Ich hab gerade noch das Notsignal auslösen können...»
    In Schönefeld mußte er zwar anderthalb Stunden auf die Anschlußfahrt warten, konnte dann aber ein Ehepaar einladen, das aus Punta Cana kam und nach Ludwigsfelde wollte, wo der Mann im Turbinenwerk beschäftigt war. Das war ideal für Tscharntke, denn von dort aus war es nur noch ein Katzensprung bis zu seinem alten Bauernhaus am Großen Seddiner See, gleich hinter Wildenbruch. Da konnte er sich ein neues Hemd anziehen, das alte war bei einer Temperatur knapp unter dreißig Grad schon lange durchgeschwitzt. Am liebsten hätte er sich, kaputt wie er war, gleich ins Bett geworfen.
    Über Stahnsdorf und Teltow kam er wieder nach Westberlin hinein und fand in Lichterfelde einen Fahrgast, der nach Norden hoch wollte, nach Waidmannslust.
    «... in die Prärie da...»
    «Welche Straße bitte?»
    «Weeß ick nich jenau, irjendwo an’e S-Bahn da. Sag ick Ihnen schon, wenn wa da sind, okay?»
    «Ja...» Tscharntke fuhr los. Der Mann war drogensüchtig, ohne Zweifel, und die siebzig, achtzig Mark nach Waidmannslust, die hatte er ganz sicher nicht. Also konnte er denn nur das eine wollen...
    Tscharntke wußte, daß er trotz Gaspistole und Elektroschocker wenig Chancen hatte, wenn von hinten rechts auf ihn geschossen wurde.

4
    Mannhardt nutzte Heikes Reise nach Bremen und tat das, was er in ihrer Gegenwart nie gewagt hätte: Er sah «Im weißen Rössl», diesen wunderbaren Film mit Waltraud Haas und Peter Alexander. Seit Monaten hatte er die Videokassette im Werkzeugkasten versteckt gehabt und immer gehofft, daß Heike einmal Grippe haben und weit vor ihm schlafen gehen würde. Doch, denkste, sie war ohne jede Erkältung über den Winter gekommen. Wenn sie erfuhr, daß er sich «einen solchen Scheiß» ansah, hätte sie die Wohnung neu weihen lassen. Es muß was Wunderbares sein, von dir geliebt zu werden...
    Mannhardt spitzte die Ohren. Im Nebenzimmer meckerte der Papst leise vor sich hin. Er hoffte, daß sein Sohn nur wohlig träumte und nicht schon wieder Brechdurchfall hatte. Schnell stoppte er das Video und griff noch einmal zum «Abc für junge Mütter» von Leiber und Schlack.
    Brechdurchfall. Mit stärkerem, heftigem Erbrechen einhergehende Durchfallstörung. Der B. ist die schwerste Form einer Magen- und Darmstörung im Säuglings- und Kleinkindalter. Bei meist plötzlichem Erkrankungsbeginn kommt es dabei zur schnellen Entwicklung eines schweren Krankheitszustandes mit Erbrechen, spritzend entleerten Stühlen, Nahrungsverweigerung, Fieber oder Untertemperaturen und raschem körperlichen Verfall mit beträchtlichem Gewichtsverlust. In besonders schweren Fällen kann es auch noch zu einer zunehmenden Bewußtseinstrübung (– Bewußtseinsstörung ) kommen (Toxikose). Dies ist besonders alarmierend.
    An den ‹spritzend entleerten Stühlen» hatte er schon seine helle Freude gehabt. Aber höchstwahrscheinlich war Silvester kerngesund und er nur fürchterlich hysterisch. Seine Angst, das Kind könnte sterben,
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