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Ein Mann fürs Grobe

Ein Mann fürs Grobe

Titel: Ein Mann fürs Grobe
Autoren: Horst Bosetzky
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Platz!»
    Da konnte Tscharntke nicht mitreden, denn seit sich Katja von ihm getrennt hatte und er in einer alten Bauernkate lebte, briet und kochte er sich seine Sachen selber. Zum einen war das billiger, und zum anderen haßte er es, allein an einem Tisch zu sitzen. Zum Single war er nicht geboren.
    Jetzt sprangen die Glastüren auf, und die ersten Passagiere – «Nur Handgepäck!» – schossen auf sie zu. Wären sie wie die Schnecken angekrochen gekommen, sie hätten auch noch eine Taxe bekommen, aber die Gier, immer erster sein zu wollen, war so tief in sie eingebrannt worden, daß sie gar nicht anders konnten. Türen wurden aufgerissen, Heckklappen sprangen hoch.
    Für Tscharntke blieb ein Mann, der Ende Fünfzig war und eine gewisse Ähnlichkeit mit Richard von Weizsäcker hatte. Er ließ sich den Koffer abnehmen und plazierte sich vorn auf dem Beifahrersitz.
    «Das ist gleich ein bißchen Stadtrundfahrt für mich.»
    Tscharntke hörte das gerne. «Wo soll’s denn hingehen, bitte?»
    «Zur Deutschen Bahn AG, Ruschestraße...»
    «Machen wir...»
    Als sie die Torstraße hinunterfuhren – für Tscharntke immer noch die Wilhelm-Pieck-Straße –, stellte sich heraus, daß sein Fahrgast leitender Angestellter der EUROMAG aus Mannheim war. «Diplomingenieur im Bereich Signal- und Sicherungstechnik.»
    «Eigentlich bin ich das auch», sagte Tscharntke. «Diplomingenieur. TU Dresden. Bis 1991 war ich Leiter der Versuchsabteilung im HLG.»
    «HLG?» fragte der Mann von der EUROMAG.
    «Halbleiterwerk Grünau...» Tscharntke bog am Platz der Nationen, dem eigentlichen Leninplatz, in die Lichtenberger Straße, um über den Strausberger Platz auf die Karl-Marx-Allee zu kommen. «Abgewickelt und keine Chance mehr. Mit achtunddreißig Jahren wird man ja schon zum alten Eisen gerechnet.»
    «Nun...» Der EUROMAG-Manager ging auf die Sechzig zu und nickte. «Mich versuchen sie ja in der Firma auch schon loszuwerden. Am liebsten wäre denen, wenn ich alsbald das Zeitliche segnen würde. Und Sie... Sie haben sich dann zum Taxifahrer umschulen lassen... ?»
    «Meine Frau hat mich dazu gedrängt...» Tscharntke kurvte um den Strausberger Platz und sah, daß bis hin zum Nordring Staugefahr bestand. Die B1 / B5 war Richtung polnischer Grenze ständig verstopft. «Nun haben wir uns doch getrennt...»
    «Ja: Mit des Geschickes Mächten ist kein ew’ger Bund zu flechten...» Der EUROMAG-Mann fragte nach der Karl-Marx-Allee von früher.
    Tscharntke geriet ins Schwärmen. «Gleich am Alexanderplatz war das Restaurant ‹Moskau› mit dem Wandmosaik am Eingang: das Leben der Sowjetvölker. Dann das Filmtheater «International» und unsere gute alte ‹Mokka-Milch-Eis-Bar›, wo ich meine Frau mal kennengelernt habe, die Katja. Am Strausberger Platz waren das ‹Haus Berlin» und das ‹Haus des Kindes›. Ja, 1951 hat unser Wilhelm Pieck auf der Weberwiese hier den Grundstein für das erste Hochhaus gelegt...»
    «Das klingt ja alles mächtig nach Idylle», lachte der Manager aus Mannheim. «Und heutzutage ist Berlin ein Schwarzes Loch, in dem die Menschen reihenweise auf Nimmerwiedersehen verschwinden.» Er hatte den Zeitungsartikel im Flugzeug gelesen. «Ist man ja ohne Bodyguard wirklich verloren...»
    « Ach!» Tscharntke konnte ihn beruhigen. «Ich möchte wetten, daß das alles Aussteiger sind, und die finden Sie alle wieder bei den Rollheimern oder draußen in Karow.»
    «Wo?»
    «In den Wagenburgen da... Wo die Aussteiger in alten Bussen und Wohnwagen hinrollen.»
    «Ah, ja.»
    «Oder bei den Berbern und den Pennern, den Obdachlosen allen. Ich hab ja auch mal damit geliebäugelt, alles hinzuwerfen.»
    «Ich weiß nicht... Meine Kollegen... Ich würde da eher an Selbstmord denken. Oder die haben irgendwelche krummen Geschäfte mit der Russenmafia gemacht...»
    «Warten wir’s ab...» Tscharntke bremste, weil ein Polizeifahrzeug herangeschossen kam.
    «Wieder mal ’ne Bank überfallen.»
    Tscharntke lachte. «Alles, was wir früher nicht hatten...»
    «Na, zehn Jahre auf’n Fluchtwagen warten, war ja auch ’n bißchen lang.»
    Als sie hinter dem S- und U-Bahnhof Frankfurter Allee und der Möllendorffstraße den bräunlichen Klotz der Bundesbahnzentrale erreichten, bekam er einen Fünfzigmarkschein überreicht. «Der Rest ist für Sie. Eine Quittung bitte.»
    Das war wie bei einer Prostituierten. Eben noch ein hohes Maß an Intimität und dann schlagartig nichts als kaltes Geschäft. Nur daß man da vorher und beim Taxifahren
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