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Ein Mann fürs Grobe

Ein Mann fürs Grobe

Titel: Ein Mann fürs Grobe
Autoren: Horst Bosetzky
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Art K.-o.-Tropfen ein wenig abzusenken...
     
    Mannhardt verließ bei Michendorf den Berliner Ring und mußte erst wieder ein Stück nach Norden fahren, um auf die Straße nach Wildenbruch zu kommen. Hartmut Tscharntke war der dritte Taxifahrer beziehungsweise -Unternehmer, der auf seiner Liste stand. Die ersten beiden hatten sich als absolut harmlose Gemüter erwiesen. Tscharntke war Linkshänder, das hatten mehrere Kollegen zu Protokoll gegeben, und er war den anderen an den Halteplätzen auch dadurch aufgefallen, daß er zwar Berliner war und die Konzession für die Hauptstadt hatte, an sich aber in Brandenburg lebte, auf einem halb verfallenen Bauernhof, wie einer wußte, getrennt von seiner Frau. Des weiteren hatte es ihm auf Mannhardts Checkliste eine Menge Punkte eingebracht, daß er «abgewickelt» worden war und ein Westmanager seinen Betrieb zu Tode saniert hatte.
    Mannhardt kam am Michendorfer Berg vorbei, fuhr durch ausgedehnte Felder und sah dann das Dorf Wildenbruch am Ende der Chaussee. Merkwürdig geduckt lag es unter einem milchiggrauen Himmel. Diese märkischen Dörfer schienen sich von den Schreckenstagen des Dreißigjährigen Krieges noch immer nicht erholt und wieder aufgerichtet zu haben. In Preußen wie der DDR war ihre Haut derart grau und pockennarbig geworden, daß keine westliche Schminke dagegen ankommen konnte; ihr Äußeres blieb furchtbar häßlich. Nichts paßte zusammen, nichts hatte zumindest den Charme des Verfalls, kaum etwas den süßen Hauch der Nostalgie. Steige hoch, du toter Adler, hoch übers Brandenburger Land. Mannhardt wünschte sich in die Toskana, in die Normandie, nach Griechenland und beschloß, gegen die Vereinigung Berlins und Brandenburgs mit Nein zu stimmen. Fontane: ja und wandern hier, aber niemals selber Brandenburger sein.
    In einem Gasthof fragte er nach, bekam den Weg zu Hartmut Tscharntkes Hof gewiesen und rollte wieder aus Wildenbruch hinaus. Vom nahen See her drang das Lachen tobender Kinder herüber. Auf die Wiesen waren schwarz-weiße Kühe getupft. Da haben wir ja die kühenden Landschaften, dachte Mannhardt mit den Worten seines großen Kanzlers. Und als er vor Tscharntkes gelber Backsteinmauer hielt, fand er das Ganze doch wieder schön. Sich einmal ausklinken und in dieser ländlichen Idylle eine Woche lang vor sich hin dämmern schien ihm sehr erstrebenswert.
    Er stieg aus und sah sich um. Kein Laut war zu vernehmen, und unwillkürlich kam ihm einer der einfachen Fontane-Reime in den Sinn: Es ist so still, daß ich sie höre, / Die tiefe Stille der Natur.
    Als Kriminalbeamter aber mißtraute er jeder Stille, assoziierte sie sofort mit Totenstille und rief zur Eigensicherung: «Hallo, Herr Tscharntke...!?»
    Keine Antwort, irgendwo aber rumpelte es, fiel etwas um. Eine aufgescheuchte Taube, eine fliehende Katze, ein Eichhörnchen, ein Mensch? Er zog seine Waffe heraus.
    «Ist hier jemand...?»
    Wieder keine Reaktion. Er sah zur Scheune hinüber, prüfte die Dächer, die Fenster, die Türen... Nichts. Doch die Tür, die in das flache Wohngebäude führte, Schien ihm nur angelehnt zu sein. Eine Falle...? Er verfluchte seine Idee, allein nach Wildenbruch zu fahren. Aber Yaiza Teetzmann war ja noch immer krank geschrieben, und die anderen Damen und Herren seiner Mordkommission jagten unverdrossen hinter Mirko Fischer her. Am liebsten wäre er zum Telefon gelaufen und hätte die Brandenburger um Verstärkung gebeten, ließ es aber, weil die ja krankhaft dabei waren, auf ihre bundesstaatliche Souveränität zu achten, und sein Einsatz hier nicht abgesprochen war.
    Also stieg er die drei ausgetretenen Stufen hinauf und trat mit dem Fuß gegen die kackbraune Tür. Der Gedanke, daß ihn jetzt jemand erschießen konnte, war nicht nur voller Schrecken für ihn. War er wenigstens erlöst von allem...
    Aber niemand schoß auf ihn. Fast war er ein wenig enttäuscht darüber.
    «Hallo, Herr Tscharntke...!?» Noch zweimal wiederholte er seine Frage. Umsonst.
    Blieb ihm nichts anderes, als in die niedrige Diele zu treten. Blankgescheuerte Fußbodenbretter, eine niedrige Balkendecke, eine buntbemalte Bauerntruhe. Alles wie im Museum.
    Da fiel sein Blick in die gute Stube. Und da lag ein Mann. Auf dem Rücken. In einer Blutlache, die ihn umschloß wie der Wannsee die Pfaueninsel. Kopfschuß. Die Makarow noch in der rechten Hand.
    Mannhardt rührte sich nicht. Für einen Augenblick hatte er das Gefühl, dies sei nur ein Bild von Brueghel, so eines, wie man es als Puzzle
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