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Ein Mann fürs Grobe

Ein Mann fürs Grobe

Titel: Ein Mann fürs Grobe
Autoren: Horst Bosetzky
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«Organizational Learning» teilnehmen sollte, aber nie im Konferenzraum erschienen ist. Der letzte der vermißten Topmanager, Ronald O’Brien, 38, stammt sogar aus dem Ausland – und zwar aus Gardener/Massachusetts, wo sich der Stammsitz der VOI («Voice Organizer International») befindet, für deren Spracherkennungscomputer er in Berlin Marktsegmente sichern sollte. Bei der Kriminalpolizei sieht man keinerlei Zusammenhänge zwischen den Lebensbahnen der vier Verschwundenen. «Reiner Zufall», versichert uns Hans-Jürgen Mannhardt von der 12. Mordkommission und fügt ein wenig zynisch hinzu: «Ohne Leiche kein Mord!» Gründe fürs Untertauchen gäbe es viele, und die eingehenden Vermißtenanzeigen füllten ganze Aktenordner. «Unmöglich für uns, da jedesmal mit Mannschaftsstärke nachzuhaken.» Der ganze Apparat beginne erst zu arbeiten, wenn man einen Topmanager ermordet in der Badewanne fände... Da möchte man fast rufen: «Freiwillige vor!»

1
    Dr. Richard Schrotzer war nach fünf Jahren zum erstenmal wieder in Berlin. Wenn er am Hotelfenster stand, konnte er sowohl sein damaliges Wohnquartier als auch seine alte Arbeitsstelle recht genau erkennen. Die Koblenzer Straße in Wilmersdorf, gleich am Bundesplatz, war am eckigen Betonturm der Vater-Unser-Kirche auszumachen, vor allem aber an den drei Schornsteinen des Spitzenlastkraftwerks am S-Bahnring, die wie startbereite Weltraumraketen in den Himmel ragten. Und das WZB, das «Wissenschaftszentrum Berlin», lag gleich neben den unverwechselbaren goldgelben Baukörpern von Philharmonie und Staatsbibliothek. Sicher, in Dutzenden von Dokumenten war festgehalten, daß er dort ein ganzes Jahrzehnt gelebt hatte, doch ihm schien das nichts als Selbsttäuschung zu sein. Der Mann, der er jetzt war, hatte mit dem Menschen dieser Zeit außer dem Namen nichts gemein. Sein Leben war keine durchgehende Linie, sondern eine Ansammlung einzelner Punkte, die für sich selber standen. Auf der großen Bühne des Lebens gab es viele und täglich immer wieder neue Schauspieler, die in die Rolle des Dr. Richard Schrotzer schlüpften.
    Das Telefon neben dem noch glatten Doppelbett dudelte in dieser schleimigen Art, die er seit Jahren haßte. So schrill wie früher, da war es ihm ehrlicher erschienen: Ja, verdammt ich störe dich. Er riß den Hörer hoch und schrie seinen Namen so laut, daß es am anderen Ende wie ein startender Düsenjäger klingen sollte. «Schrotzer!»
    «Multifunktions-Computer International, Raabe, ich verbinde mit dem Chef...»
    Schrotzer sank aufs Bett. Die Raabe, diese alte multikulturelle Krähe.
    «Hallo, Herr Schrotzer, gut angekommen in Berlin?» Dies auf französisch.
    Er wußte, daß Savournon nie hinhörte, und murmelte deshalb, daß sie im Gewitter über Berlin-Tegel abgestürzt seien.
    «Sehr schön. Ruhen Sie sich heute noch aus, und fahren Sie morgen früh nach Friedrichsheide raus...» Savournon wechselte ins Englische über, was ihm allerdings nur leidlich glückte. «Ich habe mit diesem Prof. Schadow vom Innovationspark gesprochen, daß Sie sich dort umgucken können. Okay!?»
    Schrotzer ließ den Firmeninhaber spüren, daß er seine beiden Jahre an der Cornell University in Ithaca, NY, nicht nur als Wide Receiver im Footballteam genutzt hatte, sondern auch zur Vervollkommnung seines Slangs. «Sie sollen da im Innovationspark an der Software für Spiel- und Getränkeautomaten arbeiten, die den Zentralen melden, wenn sie leer sind und nachgefüllt werden müssen.»
    «Was meinen Sie?»
    Schrotzer wiederholte es auf französisch und erhielt den Auftrag, alles zu kaufen, was es zu kaufen gab. Dann legte Savournon ohne eine jede Abschiedsfloskel auf.
    Schrotzer empfand dies wie eine schallende Ohrfeige. Er warf sich aufs Bett und hätte am liebsten wie ein Kleinkind «Ah-äh» gemacht. Sein Selbstmitleid wuchs mit jeder Sekunde. Mein Gott, warum habe ich mir das antun müssen, zu Savournon zu gehen... Klar, Gabis ewiges Gejammer wegen der leeren Kassen – und nun die hundertfünfzigtausend Mark im Jahr. Er hatte keine Lust, sie anzurufen. Auch keine, von Marius zu hören, daß die liebe Puffpuff-Bahn aus Lego wieder mal puttgegangen war.
    Diese Assoziation ließ ihn erkennen, daß gegen seine Depressionen jetzt nur noch eines half, das Denken an das Eine nämlich. Eine dieser Edelnutten von fünfhundert Mark an aufwärts neben sich im Bett und dann... So richtig a tergo. Seine Phantasie reichte für eine Erektion, wie sie ihm in Gabis Nähe nie
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