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Ein Mann fürs Grobe

Ein Mann fürs Grobe

Titel: Ein Mann fürs Grobe
Autoren: Horst Bosetzky
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gelang. Schön, dafür liebten sie sich und schritten gemeinsam durchs Leben. Er überlegte kurz, ob er nicht wirklich beim Mann an der Rezeption nachfragen sollte, ließ es dann aber, weil es Kosten-Nutzen-analytisch wenig brachte. Gabi, sparsam bis geizig wie sie war, hätte die fehlenden fünfhundert Mark sicherlich bemerkt und ein Riesentheater gemacht. Außerdem war er so erzogen, daß er sein Gewissen fürchten mußte, ganz abgesehen von der Aidsgefahr. Der Hauptgrund aber war, daß Savournon ihn sicher feuerte, wenn er von diesem Fick erfuhr. Wahrscheinlich wurde sogar der Nachtportier für seine Überwachung bezahlt.
    Mußte er sich’s also selber besorgen. Hinunter in die Hotelhalle zu fahren und sich einen «Playboy» zu kaufen, schaffte er nicht, weil es ihm peinlich war, daß alle, die ihn sahen, ganz genau wußten, warum er das tat. Also schaltete er seinen Fernseher ein und zappte sich so lange durch die Programme, bis er genügend Frauen gesehen hatte, um es kurz und eher tröpfelnd bei sich auszulösen. Es wurde eher Schmerz als Lust.
    Er warf das klebrige Tempotaschentuch bis vor die Toilettentür und fühlte sich ein wenig besser, wußte aber, daß er es den ganzen Abend in dieser Feudalzelle des «Spreeathen» nicht aushalten würde. Doch die Kraft, in die Stadt zu gehen, hatte er nicht. Er war ausgezogen, die Welt zu erobern, und kehrte nun als Mann zurück, den die Franzosen in Grenoble so wenig liebten wie der FC Bayern München einen Torjäger, der in zehn Spielen nicht getroffen hatte.
    Er haßte nichts mehr als die tristen Bars über den Dächern der Stadt, und es war die pure Verzweiflung, die ihn nach oben fahren ließ.
    «Einen Calvados, bitte.»
    Unsicher stand er vor dem ungewöhnlich hohen Hocker und wußte nicht, ob er sich hinaufschwingen sollte oder nicht, hatte Angst davor, sich dabei ebenso zu blamieren wie damals im Turnunterricht, wo ihm solche Übungen regelmäßig mißlungen waren, sehr zum Gespött der anderen, insbesondere der Mädchen. Nun, die Frauen, die hier saßen, waren nicht mehr solo, und wenn ihm eine gefallen hätte, dann wäre es eh nichts geworden: Gabi zu betrügen war undenkbar für ihn. Schließlich gab er sich einen Ruck und kletterte nach oben. Der Calvados kam, und er sah sich um, mehr sichernd als abenteuerlustig. Rechts von ihm hockte eine pyknische Frohnatur mit rotem Froschgesicht, die alles veralberte, was der bierernste Senatsbeamte neben ihm an Statements von sich gab.
    «Die neue Innenstadt Berlins sollte eine Sache bleiben, die von der politischen wie der ästhetischen Elite zu entscheiden ist, nicht aber von der Bevölkerung. Siehe ‹Palast der Republik› und die beginnende Katastrophe bei der Bebauung des Pariser Platzes.»
    «Nun, mein Lieber, wenn Pariser platzen, ist das immer eine Katastrophe.»
    Schrotzer mühte sich, im Calvados die Äpfel zu schmecken und sich vorzustellen, wie quer durch die Normandie die Apfelbäume blühten.
    In dieses Bild schob sich ein Mann in seinem Alter, vierzig etwa, und an diesem Abend offenbar ebenso verloren wie er.
    «Entschuldigen Sie, ist der Platz hier neben Ihnen noch frei...?»
    «Ja, sicher...» Schrotzer schob den Barhocker ein Stückchen zur Seite, so daß es der andere beim Platznehmen bequemer hatte. Er musterte ihn mit einem schnellen Blick. Der Mann sah aus wie der Intendant eines Theaters, das sie gerade schließen wollten. Hatte die volle Arroganz eines deutschen Genies. Leichte Basedow-Augen, aber von strahlender Vergißmeinnichtfarbe. Ein bißchen Friedrich der Große. Oder Gustaf Gründgens als Mephisto. Konnte richtig aasig blicken, als ihn der Barkeeper noch immer ignorierte. Leptosomer Körperbau. Joggte wahrscheinlich und war in der Schule die 1000 Meter unter 2:50 gelaufen. Krankhaft ehrgeizig, Siegertyp. Immer die pole position innehaben. Maßgeschneiderter Anzug. Raucherfinger, an den Kuppen zerbissen. Gefiel sich darin, alle Welt zu übersehen, war wohl keiner kongenial genug für ihn.
    Schrotzer hatte immer seinen Spaß daran, Männer wie diesen «zu knacken». Er versuchte es zuerst mit seinem Trick 17. «Entschuldigen Sie, aber ich hab Sie doch letzte Woche in ‹DAS!› gesehen.» Er hätte auch «KuK» sagen können oder auf irgendeine der vielen Talk-Shows verweisen können; es klappte fast immer.
    «Wirklich...?» Der andere schien zu meinen, sein Kommunikationssoll damit erfüllt zu haben, nahm einen Olivenkern aus dem Aschenbecher und warf ihm dem Barkeeper ins Kreuz.
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