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Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Titel: Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Autoren: Philipp Möller
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SCHOOL ’S OUT – UND NUN ?
    E ine sanfte Sommerbrise weht mir um die Nase, als ich das Schultor durchschreite und im doppelten Sinne auf der Straße stehe. Das war’s dann also. Meine Zeit als Vertretungslehrer ist ein für alle Mal vorbei.
    Vom Schulhof dringen die Stimmen meiner Kollegen zu mir herüber, mit denen ich im Anschluss an das jährliche Sommerfest gerade noch auf die großen Ferien angestoßen habe – und auf meinen Abschied. Wenn das kein Grund zu feiern ist: nie wieder Grundschule. Nie wieder Ersatzlehrer. Nie wieder Sechstklässler unterrichten, die auf dem Leistungsniveau von Viertklässlern sind. Keine ausgebrannten Kollegen mehr, die eigentlich nur noch auf die Pensionierung warten. Nie wieder versiffte Toiletten, gegen die ein altes Bahnhofsklo wie ein Sanitärpalast wirkt. Und nie wieder Elfjährige beruhigen, die blind vor Wut auf ihre Mitschüler einprügeln wollen. Oder auf mich.
    Leicht beschwipst und ein bisschen wehmütig spaziere ich an den Gitterstäben entlang, die den verrückten Schulhof von der normalen Welt trennen, und sehe meiner wiedergewonnenen Freiheit nicht ganz ohne Sorge entgegen. Denn sosehr mich der Job als Lehrer an meine emotionalen Belastungsgrenzen gebracht haben mag – immerhin hatte ich ein Job! Immerhin durfte ich eine tägliche Aufgabe erfüllen, mit der ich nicht nur meine Familie ernähren, sondern auch das Bedürfnis stillen konnte, etwas gesellschaftlich Relevantes zu tun. Außerdem war bei all der Anstrengung nicht zu leugnen, dass ich immer wieder einen Heidenspaß mit den Kids hatte. Aber all das ist nun vorbei, und bislang bin ich ziemlich ratlos, welche neue Beschäftigung das Loch in meinem Alltag und in meinem Lebenslauf füllen soll.
    »Züüüüsch, Herr Mülla!«, werde ich plötzlich von hinten angesprochen. »Warum hängst du noch hier rum?«
    Als ich mich umdrehe, steht mein ehemaliger Schüler Khalim mit einem Skateboard unterm Arm vor mir. Seitdem klar ist, dass er die sechste Klasse wiederholen muss, ist seine Laune ziemlich im Eimer.
    »Wir haben bloß noch auf die Sommerferien angestoßen«, erkläre ich, »und auf meinen letzten Tag als Lehrer.«
    »Vallah, du hast’s gut, ja? Musst nisch mehr Schule gehen …«
    »Dafür muss ich jetzt zum Amt, mir einen neuen Job suchen.«
    »Is doch voll cool!«, meint er und schaut sich dann zum Schulgebäude um. »Sch’würde viel lieber Job suchen, als noch ein Jahr hier bleiben. Bei diesen ganzen Opfern!« Er zuckt mit den Schultern, lässt sein Skateboard auf den Boden fallen und gibt mir zum Abschied die Hand. »Viel Glück, Herr Mülla!«
    »Danke, dir auch, Khalim.«
    Glück kann ich gut gebrauchen, denke ich, als er davonrollert. Doch bevor ich in Selbstmitleid versinken kann, tritt der Mann aus dem Schultor, der mich in den letzten zwei Jahren am häufigsten zum Lachen gebracht hat: Geierchen. Ein sportlicher Mittfünfziger mit schulterlangen blonden Haaren, strahlend blauen Augen und einer kleinen Wohlstandswampe. Geierchen, der eigentlich Rolf Geier heißt, unterrichtet Sport und Naturwissenschaften an der Schule, in der ich die letzten vierundzwanzig Monate gebuckelt habe. Gemeinsam mit ihm habe ich im letzten Jahr eine sechste Klasse geleitet, die wir mit dem heutigen Tag, dem letzten des Schuljahrs, in die Oberschule entlassen. In dieser Zeit lernte ich seine etwas ungewöhnlichen, aber stets unterhaltsamen Unterrichtsmethoden kennen und lieben – und es verging kaum ein Tag, an dem er mir nicht in aller Deutlichkeit sagte, dass ich mich beruflich auf dem Holzweg befände.
    Nachdem sich Geierchen eine Kippe angesteckt hat, schaut er sich kurz nach rechts und links um und setzt dann ein breites Grinsen auf, als er mich erblickt. »Kiek ma eena an«, ruft er mir zu, »der jescheiterte Aushilfspauker!«
    Wie gewohnt beendet er seinen Satz mit einer kratzigen Lache, die so ansteckend ist, dass ich das ängstliche Grummeln in meinem Bauch für einen Moment vergesse und lächelnd in seine Richtung schlendere. Breitbeinig stiefelt er auf mich zu und haut mir dann so kameradschaftlich auf die Schulter, dass ich fast im nächsten Gebüsch lande.
    »Hab ick’s dir nich jesacht?«, beginnt er und zieht erneut an seiner Fluppe. »Reißt dir hier zwee Jahre den Hintern uff – und am Ende treten se dir noch rinn …«
    Ach, Geierchen, denke ich, wenn ich doch nur auf dich gehört hätte … Dann wäre ich um so viele Sorgenfalten ärmer – aber auch um tonnenweise wertvolle Lebenserfahrung
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