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Ein Mann fürs Grobe

Ein Mann fürs Grobe

Titel: Ein Mann fürs Grobe
Autoren: Horst Bosetzky
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Wusterhausen. Das verhieß, wenn ihn die Vopo schnappte, doppelten Ärger. Einmal mit den Genossen selber, dann aber auch mit seinen Westberliner Vorgesetzten, weil er diesen Ausflug ins feindliche Ausland nicht ordnungsgemäß vorab angemeldet hatte. Wahrscheinlich hätte er nie und nimmer eine Genehmigung bekommen: «Wissen Sie denn nicht, daß die Stasi solche Gelegenheiten für ihre Anwerbungsversuche zu nutzen trachtet?»
    Mannhardt hatte Mühe, sich klarzumachen, daß dies nur sein altes Trauma war: als Westberliner in der DDR Passierschein und Ausweis verloren zu haben und für eine Weile im Stasi-Knast zu landen. Die DDR war längst versunken, und das Gelände, auf dem er sich jetzt befand, war nicht mehr das Erholungsheim des VEB Regelungstechnik Leipzig, sondern gehörte dem Steuerberater und FHW-Professor Dr. Bernhard Broch, dessen Frau Bianca nicht nur in der Berliner CDU Karriere machte, sondern auch Heikes Freundin war. Mannhardt fand das zwar absurd bis geradezu pervers, es war aber wiederum auch reizvoll und nützlich.
    Mannhardt setzte sich auf den Steg und warf Steinchen ins Wasser. Da, wo sie aufkamen und kleine Kreise bildeten, wichen die grünen Pigmente zurück. Das Wasser blühte, wie die Berliner sagten. Wo blieb die Wasserleiche? Typisch für Ertrunkene waren der Schaumpilz, der feinblasige weißliche Schaum vor Mund und Nasenöffnungen, das einzige äußere Hinweiszeichen für vitales Ertrinken, und die Waschhautbildung an Händen und Füßen. Aber warum immer nur Wasserleiche, vielleicht war es auch eine märkische Undine, die vor ihm auftauchte und sich mit ihm vermählen wollte, um endlich zu einer Seele zu kommen. Vor Urzeiten hatte er die Undine, das Stück von Giraudoux – oder...? –, im Schiller-Theater gesehen, mit Sabine Sinjen als Wasserjungfrau. Die war nun auch schon tot, zerstört vom Krebs, und das Schiller-Theater geschlossen, hingerichtet von Diepgen & Co. Wäre er mitgegangen, wenn ihm seine Undine erschienen wäre...? Ja, sicher, das ließ sich doch keiner entgehen.
    «Kommissar, kommst du mal!» Seine Daseinsgefährtin – die Frau, die sein Dasein gefährdete, wie er immer sagte – schwebte über den Rasen.
    «Ja, el-zett, was is’n...?» Das bezog sich auf das Kürzel, mit dem Heike seit einiger Zeit ihre Artikel versah, lz. gleich Hunholz, Punkt.
    «Kannst du mal auf den Papst aufpassen!?»
    «Ja.»
    Mannhardt verließ den Philosophensteg und begab sich zu Buddelkasten und Schaukel, wo sich ihrer beider Sohn quietschvergnügt den Zuckersand in die dichten blonden Haare rieseln ließ. Sie hatten ihn in einem Anfall gelinden Wahns Silvester genannt, weil es zu dieser Zeit geschehen war, fanden es nun aber witziger, ihn «Papst» zu nennen, denn der berühmteste Träger dieses Vornamens war der Papst Silvester II. (gestorben 1003), der größte Gelehrte seiner Zeit. Das arme Kind, meinten denn auch alle.
    Heike hatte eine jener Frauen entdeckt, deren Bücher Rekordauflagen erreichten, weil darin Geschlechtsgenossinnen stellvertretend rächend-heiter Männer meuchelten, und wollte sie zu einem schnellen Interview in die Büsche zerren. Sie verschwand, und Mannhardt rührte für seinen Sohn Eierpampenkuchen an. Lieber hätte er Türme, Tunnel und Straßen gebaut, aber das vermochten einjährige Knaben noch nicht so recht zu schätzen. Sein Ziel war es, Silvester dahin zu bringen, alleine zu spielen.
    «Guck mal, hier, wie schön sich das dreht!» Eine der Brochschen Töchter hatte eine Sandmühle hinterlassen. Kippte man oben Zuckersand hinein, drehten sich mehrere Räder und Flügel. Mannhardt mühte sich verzweifelt, seinem Sohn das Patent verständlich zu machen.
    «Na, spielt der Opa schön mit dir?»
    Die hager-knochige Dame, eine Lateinlehrerin aus dem nahen Köpenick, wußte gar nicht, wie nahe dran sie war, erwürgt zu werden. Mannhardt verkniff sich das jedoch und holzte nur verbal zurück. «Mein Enkel ist das nicht, ich dachte, es wäre Ihr Jüngster...?» Wobei die Gemeinheit nicht nur darin bestand, daß die Dame auf die Sechzig zuging, sondern auch noch – wie man ihm zugeflüstert hatte – ungeoutet lesbisch war.
    «Ultra posse nemo obligatur», sagte sie, erfreute sich an seiner Unbildung und stiefelte davon. Mannhardt sollte erst zwei Tage später, als er Heikes hochgebildeten Feuilletonredakteur um die Übersetzung gebeten hatte, den Sinn ihrer Worte erfahren: Niemand ist verpflichtet, ihm Unmögliches zu leisten. Ein Kernsatz römischen
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