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Ein Mann fürs Grobe

Ein Mann fürs Grobe

Titel: Ein Mann fürs Grobe
Autoren: Horst Bosetzky
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Neukölln, ist 39 Jahre alt.»
    Mannhardt hatte den Wunsch, den Fernseher auszuschalten. Filme wie dieser kotzten ihn an. Die Gaffer hinter den rotweißen Flatterbändern, die mechanisch arbeitenden Kolleginnen und Kollegen, die herumwuselnden Reporter, der ganze «Tatort»-Set im Lichte der reichlich in der Auenlandschaft verteilten Scheinwerfer und Lampen. Er hörte seinen alten Oranienburger Kollegen Volker Vogeley zur Gitarre greifen und singen: Bis morgen früh – nur noch Déjà-vu , Déjà-vu...! Wenn es allein bei Ben Akiba geblieben wäre – «Alles ist schon einmal dagewesen» –, dann hätte sich das Leben ja noch heiter leben lassen, aber so: «Mord in Berlin» – die fünfhundertste! Kamera läuft, Ton ab.
    «Diese Scheißmücken!» schrie Yaiza Teetzmann, schlug sich auf Arme, Stirn und Beine und geriet zunehmend in Panik. «Ick bin schon janz blutig.»
    «Ja, ja, der Blutverlust. Leute, haben wir ’ne Blutkonserve da?»
    «Echt ätzend!»
    «Der Tote hat’s da besser», sagte Mannhardt. «An den gehn die Biester nicht.»
    «Kannste ja ma mitmachen: ‹Jugend forscht›.»
    «Ja, danke für den Hinweis.» Mannhardt zog eine feinmaschige Tüllgardine unter Silvesters Deckbett hervor und breitete sie über den Kinderwagen. «Falls Tante Yaiza die Mücken nicht mehr auf sich ziehen sollte...»
    «Macht pro Stich ’ne Mark.»
    «Ich lad dich morgen zum Essen ein...»
    Mannhardt fiel es schwer, umzuschalten auf das Programm «Der Ernst des Lebens». Jetzt würden sie Wuttkowskis Frau schon eröffnet haben, daß ihr Mann ermordet worden war. Tränen, ein Nervenzusammenbruch, die Beruhigungsspritze, das ganze Drama. Die Beerdigung, die Trauerarbeit. In seinem Alter hatte der Taxifahrer sicher noch Kinder, die zur Schule gingen, auch Söhne, die ohne Vater zu Hause Gefahr liefen zu scheitern. Da Mannhardt hin und wieder an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege (FHVR) als nebenamtlicher Dozent im Einsatz war, fiel ihm reflexhaft Walter B. Miller ein: Jugenddelinquenz als Notwendigkeit zum Erlernen der männliche Rolle (trouble, toughness, smartness, excitement, fate und autonomy) bei Abwesenheit einer starken Vaterfigur und weiblicher Vorherrschaft in der Unterschichtsfamilie.
    Der Medizinmann vom Dienst beugte sich erst über Silvester und machte «Du-du-du-du» und faßte dann seine bisherigen Erkenntnisse in einem kurzen Statement zusammen. «Wenn ich mir die Einschußzeichen ansehe, dann würde ich anhand des Schürf- und Dehnungssaums und des Abstreifringes sagen: Nahschuß, aber kein absoluter Nahschuß mit aufgesetzter Waffe. Zwei Einschußlöcher knapp links unter dem rechten Ohr.»
    «Zwei Patronenhülsen sind im Wagen gefunden worden, die Tatwaffe fehlt», fügte Yaiza Teetzmann hinzu.
    Der Tote hatte mit einer letzten Bewegung die Tür aufgerissen, um sich auf den Weg fallen zu lassen, aber keinen Hilferuf mehr absetzen können. Die Beine hingen noch festgeklemmt im Wagen, Kopf und Oberkörper lagen auf dem feuchtschlammigen Weg. Die gebrochenen Augen fixierten das Sternbild Lyra oder Leier, in dem auch die helle Wega stand.
    Mannhardt ärgerte sich über den stieren Kuhblick des Toten. «Im klassischen Kriminalroman hätte der Ermordete dem Detektiv dadurch einen Hinweis auf den Täter gegeben. Vielleicht heißt sein Mörder Wegener oder ist ein Leierkastenmann...?»
    «Sonst geht’s dir gut?»
    «Ja, danke.» Mannhardt zwang sich, wieder sachlich zu werden. «Und keiner von den Anwohnern hier war so freundlich, etwas gesehen zu haben?»
    «Ein paar sind aus’m Haus raus, nachdem die Schüsse jefallen sind, und ham et uff’m Steg noch trampeln hör’n.»
    «Ist er also nach Glienicke rüber. Müssen wir morgen mit den Kollegen aus Oranienburg mal nachsehen. Jetzt in der Nacht hat’s ja wohl keinen Sinn. Außerdem: ich mit dem Kinderwagen...»
    «Die Beute soll knappe dreihundert Mark betragen. Wer macht’n sowat: deswegen eenen umbringen... Doch nur ’n Drogenabhängiger. Also: Beschaffungskriminalität.»
    Silvester schnorchelte ein wenig, und es hörte sich fast so an, als würde er leise wimmern. Mannhardt erschrak. Die Windel war zu wechseln. Er nahm seinen Sohn auf den Arm, holte die frischen Windeln unter dem Kinderwagen hervor und suchte in einem der «Bullenwannen» nach einem hellen und warmen Plätzchen. Jetzt begann Silvester aus voller Kehle zu schreien.
    Mannhardt küßte und herzte ihn. «Hast ja recht, mein Sohn: Die Welt ist wirklich zum Heulen.»

5
    Heike
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