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Henkersmahl

Henkersmahl

Titel: Henkersmahl
Autoren: Bärbel Böcker
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1
    Dicker Zigarettenqualm schlug Peter Mallmann entgegen, als er die Wohnung in Köln Ehrenfeld betrat, die ihm selbst im Halbdunkel und fast leer geräumt noch völlig vertraut erschien. Seine Augen durchforsteten suchend den Raum, aber er konnte sie nirgends entdecken. Jemand, den er nicht kannte, hatte ihm die Tür geöffnet, war aber gleich wieder Richtung Musik entschwunden, die laut aus einem der hinteren Zimmer dröhnte.
    Plötzlich sah er Vera, eine Studienkollegin, und war froh, als sie ihm eine Flasche Bier anbot. Wenigstens ein vertrautes Gesicht. Peter Mallmann verstand seltsamerweise kaum, was sie sagte, aber den Bewegungen ihres Mundes entnahm er, dass es etwas Lustiges sein musste. Beide lehnten nebeneinander an der Wand und Peter beobachtete, wie die Gäste der Party sich amüsierten. Vera sprach ununterbrochen.
    Auf einmal spürte Peter Mallmann, wie ihm kalter Schweiß auf die Stirn trat. Ihre Worte wurden zu Blasen. Sie schienen ihren Mund zäh und wabernd zu verlassen, sich schillernd im Raum auszudehnen und zu zerplatzen, bevor sie ihn erreichten. Er zog seine Lederjacke aus und drückte sie ihr in die Hand. Vera sah ihn prüfend an. Fürsorglich klopfte sie ihm gegen die Schulter, aber für ihn fühlte es sich wie ein Hammerschlag an. Er musste hier weg, sofort, er brauchte dringend frische Luft. Als er sich in Bewegung setzte, schwankte er leicht und stützte sich an einer Stuhllehne ab.
    Auf dem Weg ins Schlafzimmer, das einen Balkon zur Straße hinaus hatte, auf dem er und Yvonne so oft abends gemeinsam in den Nachthimmel gesehen hatten, kam er am Buffet vorbei. Er griff sich ein Stückchen Käse und hoffte, dass es ihm besser gehen würde, wenn er es aß, vielleicht würde es die Übelkeit vertreiben. Peter Mallmann kämpfte sich weiter voran durch die dichte Menge der Partygäste, und plötzlich sah er sie. Yvonne. Ihre rot gelockten Haare schwangen wild im Rhythmus der Musik, sie tanzte und schien nichts um sich herum wahrzunehmen. Ihre Bewegungen nahmen ihn gefangen, wie immer. Der Zauber wirkte noch. Er beobachtete, wie sie, einer Schlafwandlerin gleich, mit aufreizenden Bewegungen auf den Typen zutanzte, der ihm die Tür geöffnet hatte.
    Peter Mallmann konnte den Blick nicht abwenden. Eine ungeheuere Welle der Wut kroch in ihm hoch und drohte ihn zu überrollen. Ein Ton verließ seine Kehle, der nicht ihm zu gehören schien. Sekunden später sah er, dass der Fremde wie eine Marionette zu Boden ging. Seine Schläfe war blutverschmiert.
    Irgendjemand brüllte Peter an: »Sag mal, spinnst du?«
    Eine andere Stimme drang an sein Ohr: »Der ist ja stockbesoffen.«
    Peter sah, dass die Flasche, die er eben in der Hand gehalten hatte, zerschmettert in einer Pfütze aus Bier und Blut am Boden lag. Hatte er sie geworfen? Der Fremde rappelte sich auf, kam hoch und ging mit beiden Fäusten auf ihn los. Peter war unfähig, sich vom Fleck zu rühren. Er hörte ein Knacken, dann spürte er, wie etwas Warmes aus seiner Nase rann. Das Gesicht des anderen, das er zuvor nur verschwommen wahrgenommen hatte, nahm nun Konturen an, großflächig und eckig verzerrte es vor seinen Augen zu einer Fratze. Peter schlug zurück. Er traf den Fremden mit voller Wucht am Unterkiefer. Der andere taumelte, griff sich den abgebrochenen Flaschenhals vom Boden und versuchte, ihn Peter gegen die Schläfe zu rammen, aber Peter konnte sich gerade noch rechtzeitig abwenden, und die Scherbe streifte ihn nur.
    Eine Frauenstimme schrie: »Hört auf. Hört sofort auf damit!«
    Die Stimme gehörte Yvonne. Unter Tausenden von Stimmen hätte er sie erkannt. Peter hielt in seiner Bewegung inne und drehte sich langsam zu ihr um. In Zeitlupe sah er, wie sie auf ihn zu kam. Täuschte er sich, oder war da ein warmer Schimmer in ihrem Blick? Er wollte ihr sagen, dass er sie immer noch liebte, aber seine Stimme gehorchte ihm nicht. Seine Knie knickten ein und er spürte, wie er langsam zu Boden sackte. Dann wurde es dunkel um ihn herum. Ein seltsamer Gedanke ging ihm durch den Kopf: Woher weiß ich eigentlich, dass ich jetzt sterben werde?

     

     

     

     

2
    Florian Halstaff hasste Kaschmirmäntel, den rheinischen Sauerbraten seiner Mutter und Kontrolle in jeder Form. Das war immer schon so gewesen, solange er denken konnte. Bereits als kleiner Junge hatte er es nicht ausstehen können, wenn Anna, die nach wie vor in der am Rheinufer gelegenen Rodenkirchener Villa seiner Mutter als Haushälterin beschäftigt war, mit festem Schritt
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