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Ein Ende des Wartens

Ein Ende des Wartens

Titel: Ein Ende des Wartens
Autoren: Christian Knieps
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auftrat, aus ihren Gedanken verdrängt. Würde sie wirklich ein Jahr auf eine Antwort warten können, um dann zu erfahren, was sie im Grunde ihres Herzens schon ahnte? Und wer konnte ihr denn versprechen, dass Marco nur dieses eine Jahr in Afrika verbrachte und dort nicht eine andere Ärztin oder auch eine Afrikanerin kennen und lieben lernte? Was sprach gegen alle diese Unsicherheiten? Aber was sprach dagegen, dass sie Marco einen Brief schrieb? Einen Brief, in dem sie nach einer Erklärung verlangte. Ja, ein Brief war eine gute Gelegenheit, noch mal in Ruhe darüber nachzudenken, was sie ihm schreiben wollte, eine Nacht drüber zu schlafen, ehe sie ihn auf die lange Reise schickte. Außerdem hätte Marco dann Zeit, sich Gedanken über ihre Frage zu machen und zu einer Entscheidung zu gelangen, die er nicht ad hoc treffen musste, wenn sie denn noch nicht gefallen war.
Annika versuchte, Nele für den Moment loszuwerden, denn sie ahnte, dass sie nicht locker lassen würde, bis Annika irgendetwas schwor, das sie nicht einhalten konnte, nur um ihre Freundin zu beruhigen – und genau so kam es auch. Ehe sich Nele aus dem Büro schieben ließ, wollte sie von Annika den Schwur haben, dass sie sich in dem Trennungsjahr nicht unterkriegen lassen würde, sondern mit ihren Freundinnen rausginge, um neue Leute kennen zu lernen. Mit neuen Leuten meinte Nele eindeutig neue Kerle, aber das war Annika in diesem Moment egal. Hauptsache, Nele ließ sie für den Moment in Ruhe.
Ein Trennungsjahr! Wie sich das wieder anhörte, dachte sich Annika, als sie wieder alleine im Büro war und an ihrem Schreibtisch saß. Das klang, als würden sich Marco und sie scheiden lassen wollen, als wäre ihre Trennung bereits endgültig. Aber vielleicht war sie es auch schon – es fühlte sich auf jeden Fall immer mehr so an.
Annika versuchte sich erneut auf die Arbeit zu konzentrieren, was ihr auch einigermaßen gelang, doch es dauerte nur bis zum nächsten Auslöser, der ihr dieses Mal die Tränen in die Augen trieb. Der Absender der Email, ein ihr persönlich Unbekannter, der dummerweise jedoch Marco mit Vornamen hieß, war zu viel für den Moment. Sie ließ ihren Tränen freien Lauf, auch weil sie keine Ahnung hatte, was sie gegen die Traurigkeit machen sollte. In Sachen Traurigkeit war sie sowieso eine Unwissende, da sie in ihrer Jugend mehr die Rebellin gewesen war, die an den gefühlten Ungerechtigkeiten ihrer Eltern wuchs, und in der Beziehung zu Marco hatte es bisher keine einzige Situation gegeben, in der er sie zu Tränen gerührt hätte. Sicherlich – sie hatte bei einigen Filmen immer wieder Tränen in den Augen gehabt, aber das waren doch Filme! Im wahren Leben konnte sie sich gar nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal geweint hatte. Sie wusste nur, dass es noch in die Zeit fallen musste, in der sie im elterlichen Haus gelebt hatte.
Es verging eine Weile, in der Annika die Welt um sich herum vergaß, ehe Ariane an ihre Bürotür klopfte, und da sie keine Antwort von Annika erhielt, trat sie einfach ein, sah die Weinende und ging zu ihr, um sie in ihre Arme zu nehmen. Ariane sprach ihrer Kollegin gut zu, die ihren Tränen weiter freien Lauf ließ, und als sie aufhören konnte, fühlte sie sich gedankenleer und irgendwie erleichtert. Ariane wischte mit ihren Daumen die schmierigen Schlieren der Wimpertusche aus Annikas Gesicht, und nun konnte die Getröstete das erste Mal wieder lachen, auch wenn das Lächeln leicht gequält aussah.
Sie fände, dass Annika nach Hause gehen und sich auch den nächsten Tag noch krank melden solle, meinte Ariane zu ihrer Kollegin, doch mit diesem Vorschlag stieß sie auf Gegenwehr.
Sie wolle auf keinen Fall zu Hause sitzen, ohne etwas zu tun zu haben, entgegnete Annika, und verwies auf den gestrigen Nachmittag, den sie ziellos in der Stadt und danach alleine zu Hause verbracht hatte. Sie könne sich nicht vorstellen, auch nur einen weiteren Tag alleine zu Hause zu verbringen, und um das Haus zu verlassen, während sie sich von der Arbeit krank gemeldet hat – das traute sich Annika einfach nicht.
Also entschied sie für sich, auf der Arbeit zu bleiben; auch auf die Gefahr hin, dass sie den anstehenden Aufgaben nicht gewachsen war. Ariane akzeptierte Annikas Entscheidung, sagte aber, dass sie ab jetzt jede halbe Stunde in ihrem Büro vorbeischauen würde, um nachzuschauen, ob sie keinen weiteren Zusammenbruch habe. Annika war froh, sich von einer Freundin so sehr umsorgt zu sehen, und
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