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Ein Ende des Wartens

Ein Ende des Wartens

Titel: Ein Ende des Wartens
Autoren: Christian Knieps
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dir und deinen Plänen, weil ich weiß, dass es für mich besser ist? Gerade dieser Gedanke erschreckte Annika am meisten, denn er würde bedeuten, dass sie es freiwillig hatte geschehen lassen. Und obwohl sie sich wünschte, dass es anders war, ahnte sie, dass dieser Gedanke wohl die Antwort auf die bohrenden Fragen war, warum sie sich an keine interessanten Ideen und Pläne erinnern konnte, und warum sie keine Wünsche für das Jahr der Trennung spürte, die sie schon morgen angehen sollte.
Mit schmerzenden Gliedern drückte sie sich vom Küchentisch nach oben und spürte die Müdigkeit, die nicht nur ihren Körper, sondern auch ihren Geist übermannte. Nach einem kurzen Besuch im Badezimmer fiel sie mit ihren Wohlfühlklamotten ins Bett, vergaß sich dabei bettfertig umzuziehen und schaffte es gerade noch vor dem Einschlafen, den Wecker für den nächsten Morgen zu stellen.
     
     

4
    Der nächste Morgen kam dann auch mit aller Macht und der Kampf gegen den Wecker und die Müdigkeit forderten die letzten Kräfte Annikas heraus. Nur sehr mühsam kam sie auf und wankte mit geschlossenen Augen ins Badezimmer, wo sie sich mehrere Hände kaltes Wasser ins Gesicht spritzte, ehe sie die Augen soweit öffnen konnte, um sich im Spiegel betrachten zu können. Sie sah aus, als hätte sie am gestrigen Abend bis tief in die Nacht hinein gefeiert, blass und mit fleckiger Haut. Auch ihre Haare standen in alle Richtungen, doch ein Blick zur kleinen Uhr im Spiegel verriet ihr, dass sie abwägen musste, was sie von den äußerlichen Probleme beheben wollte, denn für alles fehlte ihr die Zeit. Um voranzukommen band sie ihre Haare das erste Mal seit einigen Jahren zu einem Zopf zusammen und war erstaunt, dass sie sich in diesem Look gefiel. Mit einigen Handbewegungen hatte sie sich gewaschen, eingecremt und geschminkt und war nach weniger als fünfzehn Minuten fertig. Sonst benötigte sie auch schon mal gut und gerne eine Stunde, um sich für die Arbeit fertig zu machen, doch an diesem Morgen erkannte sie für sich selbst, dass sie diese Zeit gut sparen konnte, um mehr Zeit für sich zu besitzen.
Das Bad verlassend ging sie in die Küche, stellte die Kaffeemaschine an, erinnerte sich daran, dass sie die Maschine auf ihren Geschmack einstellen wollte, experimentierte mit den Knöpfen und fand, dass der Kaffee, der ihr die Maschine zubereitete, viel besser schmeckte als je zuvor. Mit frischem Mut und Wind in den Segeln bereitete sie sich ein paar Brote für den Mittag vor, legte einen Apfel und einige Trauben dazu, packte alles zusammen mit einer großen Flasche stilles Wasser und war bereit, um auf die Arbeit zu fahren. Sie nahm die Handtasche und die leichte Sommerjacke im Vorbeigehen auf, zog sich ein paar Schuhe über und kaum, dass sie aus der Wohnung war, blickte sie auf ihre Uhr und stellte fest, dass sie viel zu früh dran war. Wo sie sonst zwei Stunden vor dem Verlassen der Wohnung aufgestanden war, hatte sie heute weniger als fünfundvierzig Minuten gebraucht. Da sie jedoch von den übrigbleibenden fünfundsiebzig Minuten fünfundvierzig verschlafen hatte, fragte sie sich, was sie mit der verbleibenden halben Stunde anfangen sollte.
Annika entschied, dass sie nicht in die Wohnung zurückgehen wollte, weil sie befürchtete, dass sie irgendetwas anfing, das sie für den Tag dann liegen lassen musste, und ging die Treppen zum Ausgang. Draußen vor der Türe nahm sie ihr Abspielgerät aus der Handtasche, setzte die Kopfhörer auf und versank in die Geschichte des Hörbuches, das sie auf dem Weg zur Arbeit und davon wieder zurück etappenweise hörte. In den folgenden Minuten tauchte sie vollständig in die Welt der Geschichte ein und hätte beinahe den Bus verpasst, der an die Bushaltestelle rollte. Sie setzte sich in ihre Reihe und richtete den Blick nach draußen, ohne wirklich nach draußen zu schauen. Als sie auf die Arbeit kam, war sie zwar zu früh dran, doch sie stempelte sich ein und ging an ihren Arbeitsplatz.
Da es eine durchaus normale Reaktion eines Menschen ist, zu glauben, die anderen Menschen in ihrer Umgebung wüssten haarklein über das fremde Schicksal Bescheid, glaubte auch Annika in jedem ihr zugeworfenen Blick einen Kommentar lesen zu können. Die Kollegen, die sie mochte und von denen sie gemochte wurde, sprachen ihr wortlos ihr Mitleid aus, während diejenigen, die sie nicht mochte oder von denen sie nicht gemocht wurde, die pure Schadenfreude ausdrückten. Nur die Gruppe derjenigen, die ihr egal
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