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Süßer Zauber der Sinnlichkeit

Süßer Zauber der Sinnlichkeit

Titel: Süßer Zauber der Sinnlichkeit
Autoren: Deborah Hale
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1. Kapitel
     
    Norfolk, England, im Jahre 1143
     
    Armand Flambard lebt!
    Diese Erkenntis ließ Dominie beim Anblick von Breckland Abbey bis in die letzten Nervenfasern erschaudern. Hoch und erhaben strebten die Mauern des Klosters himmelwärts, umgeben von akkurat gepflegten Klostergärten, die sich bis zum Rande eines verwilderten, dicht verschlungenen grünen Waldes erstreckten.
    Armand am Leben? Konnte das sein? Seit sie vor drei Tagen von Harwood aus zu ihrer heiklen Reise aufgebrochen war, hatte Dominie De Montford sich diese Frage immer wieder gestellt. Oder hatte Pater Clement, als er ihre Mutter bei einer Wallfahrt zum Heiligen Brunnen von Breckland begleitete, lediglich eine wundersame Erscheinung gehabt? Einem Phantom aus trügerischer Hoffnung nachzujagen und deswegen ungebührlich lange von den Ländereien ihrer Familie fernzubleiben, durfte Dominie sich eigentlich nicht leisten!
    Und dennoch …
    Wenn sie Armand hier im Kloster finden würde, wäre dies für ihre Familie und deren Gefolgsleute ein kleiner Hoffnungsschimmer, dem drohenden Hungertod im nächsten Winter zu entgehen. Inzwischen fielen jene Menschen zwar in Dominies Verantwortung, doch einst war Armand für sie zuständig gewesen. Damals, ehe er die ihm Anvertrauten – und Dominie! – schmählich im Stich gelassen hatte!
    Ein Rascheln hinter ihr im Gras riss sie plötzlich aus ihren bitteren Gedanken, so dass Dominie sich blitzschnell duckte und Deckung in einem kleinen Gehölz aus Buchen und Haselnussbüschen suchte. Als dann ein mageres Moorhuhn aus dem Heidekraut aufflatterte, stieß Dominie stockend den Atem aus. Nachdem sie sich drei Tage lang klammheimlich durch Englands Wälder und Flure geschlagen hatte, spürte sie nun, dass ihre Nerven zum Zerreißen gespannt waren.
    Eine sanfte Brise wehte von der Abtei herüber und marterte Dominies Nase mit verlockendem Bratenduft. Seit drei Tagen hatte sie kaum einen Bissen zu sich genommen. Das Wasser lief ihr im Munde zusammen, und ihr Magen ließ ein erbärmliches Knurren vernehmen. Nachdem sie sich auf dem Boden niedergekauert hatte, um hastig ihren Leinenbeutel zu durchwühlen, zog sie schließlich einen Kanten trockenen Brotes hervor. Während sie daran kaute, verdrängte sie jegliche Gedanken an den Hungerwinter, der den Bewohnern von Harwood und Wakeland drohte, sollte es nicht gelingen, den Wolf von den Toren fern zu halten – Eudo St. Maur, ehemals Graf von Anglien und Geißel der Fenns.
    Lieber Gott, mach, dass Armand hier ist, betete sie, obwohl sie insgeheim nicht davon überzeugt war, dass der Allmächtige ihr verzweifeltes Flehen erhören würde. Vielleicht war er ja wirklich mitsamt seinen Engeln eingeschlafen, wie manche Frevler lästerten. Wären die himmlischen Heerscharen nämlich wachsam gewesen, dann hätten sie niemals zulassen dürfen, dass das Land von diesem abscheulichen Geschmeiß heimgesucht wurde!
    Plötzlich war vom Turm der Klosterkapelle helles Glockengeläut zu hören, das die Mönche zu Breckland von der Andacht zur Arbeit rief. Kurz darauf schwang die Klosterpforte weit auf, und heraus kam ein Pulk von Patres und Laienbrüdern, allesamt in einfache, schwarze Kutten gehüllt und mit Hacken, Spaten oder sonstigem Gartengerät über der Schulter.
    Obwohl sie ihren Hunger nicht gestillt hatte, stopfte Dominie den Brotrest in den Leinenbeutel zurück. Schritt für Schritt schlich sie verstohlen durch das Gehölz, näher und näher an die klösterlichen Feldarbeiter heran. Einen nach dem anderen musterte sie die Kuttenträger, bis ihr Blick schließlich auf der größten Gestalt verharrte.
    Der sehnige, hagere Wuchs des Mannes, sein energischer Gang erinnerte sie an Armand Flambard. Noch zierte keine Tonsur sein Haupthaar, was den Schluss zuließ, dass er das Mönchsgelübde nicht abgelegt hatte – noch nicht!
    Vielleicht hatte der allmächtige Gott sich im Schlummer geregt und Dominies verzweifeltes Flehen doch vernommen!
    Wortlos verteilten die Klosterbrüder sich auf die verschiedenen Beete und Rabatten, um ihr Tagewerk in Angriff zu nehmen. Der Hüne strebte geradewegs auf Dominie zu, als würde er von ihren durchdringenden Blicken regelrecht angezogen oder von einer außergewöhnlich wohlwollenden höheren Macht gelenkt.
    Als er am Rande des Gartens angelangt war, zückte der Laienbruder die mitgebrachte Hippe und machte sich an das Säubern der Begrenzungshecke, indem er die frischen Triebe kappte oder nach unten bog und mit dem Gertengewirr verzweigte.
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