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Titel: Quellcode
Autoren: William Gibson
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Februar 2006
1. WEISSES LEGO
    »Rausch«, sagte jemand im Handy von Hollis Henry, »Node«, sagte er.
    Hollis machte die Nachttischlampe an. Das Licht fiel auf die am Vorabend geleerte Dose Asabi Draft aus dem Pink Dot und auf ihr mit Stickern zugepflastertes PowerBook, das zugeklappt schlummerte. Sie beneidete es.
    »Hallo, Philip .« Node war derzeit ihr Arbeitgeber, wenn man das bei ihr so nennen konnte, und Philip Rausch der für sie zuständige Redakteur. Nach dem letzten Gespräch mit ihm war Hollis gleich hierher nach L.A. geflogen, was aber mehr mit ihrer schlechten finanziellen Lage zu tun hatte als mit Rauschs Überzeugungskraft, und halte sich im Mondrian einquartiert. In der Art und Weise, wie Rausch den Magazinnamen aussprach, schwang etwas mit, dessen sie bald überdrüssig sein würde.
    Sie hörte vom Badezimmer, wie der Roboter von Odile Richard sanft irgendwo anstieß.
    »Bei Ihnen ist es jetzt drei«, sagte er. »Habe ich Sie geweckt?«
    »Nein«, log sie.
    Odiles Roboter war aus Lego. Weiße Legosteine, darunter eine ungerade Anzahl weißer Räder mit schwarzen Reifen. Auf der Rückseite waren Dinger angeschraubt, die wie Solarzellen aussahen. Sie hörte, wie er sich geduldig, aber doch ohne System über den Teppich ihres Zimmers bewegte. Gab es Packungen mit ausschließlich weißen Legosteinen zu kaufen? Sie passten hierher, wo so vieles weiß war. Hübscher Kontrast zu den ägäisblauen Tischbeinen.
    »Sie wollen Ihnen sein bestes Werk zeigen«, sagte Rausch.
    »Wann?«
    »Jetzt. Sie erwarten Sie vor Odiles Hotel. Dem Standard.«
    Hollis kannte das Standard. Es war mit königsblauem Astro-turf-Kunstrasen ausgelegt und im ganzen Gebäude war ihrem Gefühl nach nichts und niemand älter als sie selbst. Hinter der Rezeption gab es so etwas wie ein Riesenterrarium, in dem sich manchmal ethnisch undefinierbare Bikini-Girls räkelten, als ob sie sich sonnten oder große Bildbände betrachteten.
    »Haben Sie sich um die Hotelrechnung gekümmert, Philip? Beim Einchecken war sie noch auf meine Karte gebucht.«
    »Es ist alles erledigt.«
    Sie glaubte ihm nicht. »Haben wir für diese Story schon eine Deadline?«
    »Nein.« Rausch seufzte genervt, irgendwo in einem London, das sie sich jetzt nicht vorstellen konnte und wollte. »Der Launch ist verschoben worden. Auf August.«
    Hollis hatte noch niemanden von Node kennen gelernt, auch niemanden, der für das Magazin schrieb. Es sollte wohl eine europäische Version von Wired sein, auch wenn sie das nie so sagten. Geld aus Belgien, via Dublin, Büros in London – oder, wenn keine Büros, dann zumindest dieser Philip. Der wie siebzehn klang. Siebzehn, und den Sinn für Humor hatte man ihm wohl rausoperiert.
    »Eine Menge Zeit also«, meinte sie. Sie wusste nicht genau, was sie damit sagen wollte, hatte aber irgendwie ihr Bankkonto im Hinterkopf.
    »Odile wartet.«
    »Okay.« Hollis schloss die Augen und klappte ihr Handy zu.
    Konnte man in diesem Hotel wohnen und sich trotzdem obdachlos fühlen? Anscheinend ja.
    Sie lag unter dem weißen Laken und lauschte auf den Roboter der Französin, der irgendwo anstieß, klackte, zurücksetzte. Er war wahrscheinlich wie einer dieser japanischen Staubsauger darauf programmiert, so lange irgendwo anzustoßen, bis die Arbeit erledigt war. Odile hatte gesagt, er sammle Daten mit Hilfe eines eingebauten GPS-Moduls – es schien ganz so.
    Als sie sich aufsetzte, rutschte ihr das feine Laken auf die O-
    berschenkel hinab. Draußen änderte der Wind den Angriffs-
    winkel auf ihre Fenster, die gespenstisch klapperten. Jede sehr ausgeprägte Wetterlage hier verunsicherte sie. Die Zeitungen morgen würden darüber berichten wie über ein leichtes Erdbeben. Fünfzehn Minuten Regen und die tiefergelegenen Bereiche im Zentrum von Beverly Hills standen unter Wasser. Hausgroße Felsbrocken glitten majestätisch hangabwärts in belebte Kreuzungen. Sie hatte das hier schon einmal erlebt.
    Hollis stand auf, ging zum Fenster hinüber und hoffte dabei, nicht auf den Roboter zu treten. Sie tastete nach der Kordel, mit der man die schweren, weißen Vorhänge öffnete. Sechs Stockwerke tiefer schlugen die Palmen am Sunset Drive im Wind wie Tänzer, die die letzten Zuckungen eines Sci-Fi-Monsters darstellen. Drei Uhr zehn an einem Mittwochmorgen und der Wind hatte den Sunset Strip menschenleer gefegt.
    Nicht denken, ermahnte sie sich selbst. Nicht die E-Mails checken. Ab ins Badezimmer, wo die ausgefeilte Beleuchtung all das sichtbar machen
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