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Ein Ende des Wartens

Ein Ende des Wartens

Titel: Ein Ende des Wartens
Autoren: Christian Knieps
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Spur zu laufen, erhielt sie von ihrer Freundin Tammy eine Ansage, die ihr klarmachte, dass es ihr mit ihrer destruktiven Selbstfragerei weder jetzt noch in Marcos Abwesenheit gut gehen würde. Ein Jahr in Trauer war dann auch keine Aussicht, die Annika so einfach hinnehmen konnte. Also entschied sie sich, etwas gegen ihren Kummer zu tun. Doch diese Entscheidung sollte viel schwerer umzusetzen zu sein, als sie sich im ersten Moment dachte.
     
     

1
    Der Zug, der Marco zum Flughafen bringen sollte, war noch nicht aus dem Bahnhof abgefahren, da machte Annika auf ihren Absätzen kehrt und verließ zielstrebig das Gleis und kurz darauf den Bahnhof.
    Die letzten beiden Wochen vor seiner Abreise waren die schlimmsten gewesen. Selbst auf der Arbeit geschah es hin und wieder, dass Annika ihre Gedanken schweifen ließ, bis sie spürte, wie ihr die warmen Tränen über die Wange hinab liefen. Auch zu Hause, wenn Marco daheim war, kamen die Tränen einfach aus dem Nichts, sodass Annika alle Mühe hatte, ihre Schminke andauernd wiederherzurichten, ohne dass ihr Freund allzu viel von ihrer unsicheren Traurigkeit mitbekam. Doch Marco schien sich sowieso nur mit den Vorbereitungen für seine Reise zu beschäftigen und sah sie kaum noch richtig an. Diese Abweisungen, Tag für Tag, erzeugten in Annika ein Gefühl der grenzenlosen Distanz zwischen ihm und ihr, viel weiter als es die räumliche Distanz nach Afrika jemals werden könnte.
    Warum sie trauerte, war ihr natürlich bewusst, doch als die Trauer plötzlich, zwei Tage vor seiner Abreise, im Nichts verschwand und sich in ihr eine ungewohnte Taubheit einstellte, war sie verwirrt. Morgens, kurz nach dem Aufwachen, als sie noch im Bett lag und merkte, dass Marco wohl schon seit Stunden wach war, um auch die letzten Punkte seiner ellenlangen Liste abzuarbeiten, kam ihr der Gedanke, dass sie sein Verschwinden für ein Jahr als Chance nutzen sollte. Als Chance, sich darüber klar zu werden, ob sie überhaupt das Leben haben wollte, das sie sich so ausgemalt hatte. Wollte sie die Frau eines Arztes werden, Kinder mit ihm bekommen und Mutter in einem schönen, kleinen Einfamilienhaus sein? Wollte sie diesen Traum, von dem sie immer geglaubt hatte, dass nichts schöner zu sein vermochte, wirklich – wirklich? Oder sollte sie nicht vielleicht sogar eine große Angst davor haben, was denn alles passieren könnte, wenn sie uneingeschränkt abhängig von ihm war?
Annika ahnte plötzlich, dass sie sich diese Fragen beantworten musste, um herauszufinden, ob sie seiner Rückkehr entgegenfiebern oder ihr gelassen gegenüber stehen sollte. Da sie in ihrem tauben Funktionieren keine Kraft für ein Gespräch mit ihm besaß, verschob sie das Antwortensuchen auf die Zeit nach seiner Abreise, half Marco die letzten Sachen zu organisieren und fühlte sich so leer wie seit langem nicht mehr. Seitdem sie wusste, dass er für ein Jahr nach Afrika verschwinden würde, hatte sie sich mit jedem Tag nur noch schwächer gefühlt. Wie ein kleines Lichtchen, das eine zufällige Böe ausgeblasen hatte, ohne dass sie sich dagegen wehren konnte.
    Annika verließ den Bahnhof und stand auf dem Vorplatz, ging noch ein paar Schritte, ehe sie sich umdrehte und sich fragte, was auf dem Bahngleis gerade geschehen war. Sie hatte ihren langjährigen Lebenspartner in einen Zug gesetzt, der ihn zu einem Flugzeug brachte, das ihn für ein Jahr auf einen Kontinent flog, der so völlig anders war. Wie konnte sie erwarten, dass er als derselbe Mensch wieder kam? Wie konnte sie denken, dass sie ihn wiedererkennen würde, als den Mann, den sie abgöttisch zu lieben geglaubt hatte? Und was sprach dafür, dass Marco nach einem Jahr überhaupt wiederkam? Gab es nicht auch viele Fälle, in denen die Menschen auf solchen Reisen ihre wahre Bestimmung entdeckten und sich entschieden, noch ein Jahr dranzuhängen? Und noch ein Jahr und noch ein Jahr und noch... Was war daran so sicher, dass Marco zum einen in einem Jahr wiederkam und dann noch derselbe Mensch war? Die Chancen auf eine baldige Rückkehr seien kaum abzuschätzen, sagte sich Annika, gab sich einen Ruck und verließ den Bahnhofsvorplatz in Richtung des Parkhauses, in dem sie den gemeinsamen Wagen geparkt hatte. Der Wagen, der ihr jetzt ein Jahr gehören würde, ohne dass sie ihn ernsthaft brauchte. Annika fuhr schon seit ihrer Berufsschulzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln und fand das allemal besser als sich durch den Berufsverkehr zu kämpfen.
Im Parkhaus war es
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