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Ein Ende des Wartens

Ein Ende des Wartens

Titel: Ein Ende des Wartens
Autoren: Christian Knieps
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sich mit Marco geteilt hatte. Er hatte sich immer für alle organisatorischen Details verantwortlich gefühlt, wenn es um vertragliche Sachen ging, hatte er den Überblick, und auch die Kontoführung oblag ihm voll und ganz. Zwar hatten sie immer noch getrennte Konten, doch während er vollen Zugriff auf ihr Konto hatte, besaß sie nicht einmal das Online-Passwort zu seinem – geschweige denn eine Bankkarte. Im Grunde hatte sie sich viel zu sehr in seine Arme begeben. Damit musste jetzt Schluss sein, forderte sie von sich selbst und stellte sich gleichzeitig die Frage, ob sie auf die Bank gehen sollte, um Marco die Berechtigung für ihr Konto zu entziehen. Aber was, wenn er gar nicht vorhatte, sich von ihr zu trennen? Wenn dieses Jahr in Afrika wirklich sein Lebenswunsch war? Wenn er nach einem Jahr wiederkam und alles war wie vorher? Wie würde sie dann reagieren? Wie würde vor allem er reagieren?
    Die Kraft, die Annika kurzzeitig durchflossen hatte, war mit einem Schlag fort. Da sie mit Marco nicht darüber reden konnte, was seine genauen Absichten in Bezug auf ihre gemeinsame Zukunft waren, war sie gezwungen zu raten. Aber was, wenn sie falsch riet? Was, wenn er nach dem einen Jahr wiederkam und ein noch viel interessanter Mann war als jetzt schon?
Im Grunde war Marco schon immer ein sehr selbständiger Mann gewesen, der die meisten Entscheidungen zwar mit ihr abgesprochen hatte, aber wenn Annika ehrlich zu sich selbst war, hatte sie meistens auch seine Meinung vertreten, wenn er mit einem Thema zu ihr gekommen war. Waren das eigentlich immer auch ihre Wünsche gewesen oder war sie ihm so sehr verfallen, dass sie nur Ja sagte, weil es der einfachste Weg schien? Warum konnte sie sich diese so einfache Frage nicht beantworten?
Annika starrte weiterhin ins Leere und bekam nicht mit, wie ein Straßenmusiker durch die Reihen des Cafés ging, um eine Spende zu erbitten. Annika war so weit weg mit ihren Gedanken, dass sie schreiend aufschreckte, als der Mann mit seinem Instrument gegen ihre Schulter stieß. Verwirrt, wie sie war, griff sie in ihre Handtasche und gab dem Mann eine Münze, obwohl das normalerweise nicht ihre Art war. Doch in diesem Moment hatte sie weder die Kraft, dem Musiker eine Absage zu erteilen noch wollte sie allzu viele Gedanken an ihn verschwenden.
Als der Musiker weg war, löffelte sie den restlichen Kaffee aus dem Glas, winkte einer Bedienung und bezahlte, stand auf und ging, bevor sie nach Hause fuhr, noch kurz in einen Teeladen, um sich für die nächsten Wochen mit ihren Lieblingskräutertees einzudecken. Beladen mit einigen kleinen Taschen wartete sie auf die S-Bahn, und erneut fiel ihr auf, dass sie währenddessen die Menschen in ihrer Umgebung musterte. Die meisten von ihnen waren Schüler oder Studenten, Arbeitslose oder Urlauber, Hausfrauen oder alte Menschen. Nur ein Paar war auf dem Gleis gegenüber zu sehen, und Annika beobachtete die beiden, wie sie sich verliebt in die Augen blickten, ein zärtliches Küsschen nach dem anderen gaben und keinen Blick für die anderen Menschen um sich herum hatten. Die beiden hatten nur Augen für den anderen – alles andere schien keine Wichtigkeit zu haben.
Wie schön war diese Zeit der Verliebtheit zwischen Marco und ihr gewesen, erinnerte sich Annika und dachte an die Zeit vor acht Jahren, in der sie sich ineinander verliebt hatten. Doch ob diese Liebe heute noch bei beiden in dieser Stärke existierte – daran zweifelte Annika, und als die S-Bahn einfuhr, verlor sie die beiden Turtelnden aus den Augen, setzte sich in eine freie Zweierbank und lehnte ihren Kopf an das von innen zerkratzte Fenster.
     
     

3
    Zu Hause ließ Annika zunächst heißes Wasser in die Wanne einlaufen, etwas, das sie normalerweise allenfalls im tiefsten Winter tat, und dann auch nur, um die Kälte aus dem Körper zu treiben. Die Kälte, die sie jedoch in diesem Moment spürte, rührte von dem Verlust, denn es wurde ihr trotz der Anstrengungen, ihr eigenes Leben neu zu ordnen und das Trennungsjahr als mögliche Chance zu begreifen, immer mehr bewusst, wie groß der Trennungsverlust sein würde. Auch wenn sie sich mal gestritten hatten, wusste sie, dass er noch um sie herum war, dass er nach Hause zurückkehren würde, um über den Streit zu sprechen, in einem normalen Tonfall, ohne den Groll. Doch nun war ihr die Möglichkeit genommen worden, über dieses Thema zu sprechen, insbesondere nach der Ankündigung, dass dort, wo Marco sein würde, so gut wie keine
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