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Ein Ende des Wartens

Ein Ende des Wartens

Titel: Ein Ende des Wartens
Autoren: Christian Knieps
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rausgehen und die gemeinsame Wohnung, in der alles nach Marco aussah, roch und sich anfühlte, für einen Zeitlang verlassen, um abschalten zu können. Annika log, dass sie sich auf den nächsten Abend freuen würde und nach kurzer Zeit endete auch das Telefonat.
Tammy hatte recht – überall in der Wohnung sah und fühlte es sich nach Marco an, als wäre er nur auf einer Nachtschicht und käme irgendwann zurück. Nichts wirkte so, als ob er ein Jahr sie und ihre gemeinsame Wohnung verlassen hätte, freiwillig und ohne dass es mit ihr abgesprochen war. Annika wühlte sich von der Couch auf und tigerte durch die Wohnung, fragte sich zuerst im Wohnzimmer, was sie an Marco erinnern würde, ging ins Schlafzimmer, wo die Erinnerungen am stärksten waren, danach ins Arbeitszimmer, in dem er die meisten seiner Sachen für seine Hobbies gelagert hatte. Die würde sie am nächsten Wochenende in den Kellerraum räumen, in irgendeine Ecke und eine Decke darüberlegen, damit sie diese Sachen nicht mehr sehen musste. Sie entschied für sich, dass sie einen Wohnungsputz machen werde, bei dem sie all das rausräumen und verstecken würde, was vor allem von Marco genutzt wurde. Annika erinnerte sich daran, wie Marco immer mal wieder mit ihr darüber gesprochen hatte, den Krempel – wie er ihn nannte –, der sich in der achtjährigen Beziehung naturgemäß ansammelte, mal auszumisten, um wieder mehr Platz für neue Sachen zu schaffen. Bisher hatte sie sich gegen ein solches Ausmisten gewehrt, und dieser Plan war wie so viele andere ihrer Pläne wieder eingeschlafen. Es war schon erstaunlich, wie viele Ideen sie über die Jahre gehabt hatte, ohne dass diese umgesetzt wären. Hatten sie sich gegenseitig die ganze Zeit über dermaßen ausgebremst? Hatte er, hatte sie das mit Absicht getan?
Über diese Gedanken nachsinnend schalt sich Annika einen dummen Narren, denn auch wenn sie sich in einer Beziehung mit einem meinungsstarken Mann befand, so war sie für die Verwirklichung ihrer Ideen und Träume völlig selbst verantwortlich. Natürlich war es immer einfacher, wenn der Partner bei der Verwirklichung half, aber sie konnten dieses Fehlen nicht auf ihn schieben. Denn am Ende des Tages hatte sie Abstand von ihren Träumen und Ideen genommen, indem sie diese ungenutzt und unverwirklicht hatte ziehen lassen. Da konnte sie Marco keine Mitschuld geben – allenfalls, dass er sie nicht genügend unterstützt hatte. Nun aber war er ein Jahr in Afrika und würde sie nicht beeinflussen können, würde ihr nicht im Weg sein, wenn sie mal was ausprobierte.
Voller neuer, in ihr erwachender Energie setzte sich Annika an den Küchentisch, nahm Kugelschreiber und ein Blatt Papier zur Hand und fragte sich, was sie in dem Jahr der Trennung alles machen wollte, was er ihr sonst ausgeredet oder bei dem er sie nicht unterstützt hätte. Angestrengt dachte sie nach und es fielen ihr verschiedenste Dinge ein, doch wie seltsam war es, dass ihr keine dieser Ideen wirklich überzeugend vorkam. Dachte sie nur, dass sie diese Ideen gehabt hatte, und war Marcos Ablehnung nicht sogar richtig gewesen, bevor sie in eine Dummheit hineinrannte, die am Ende nichts als unnötige und unwiedereinbringbare Kosten bedeutete? Mit jedem neuen Gedanken, mit jeder neuen Idee verschwand etwas mehr von ihrer Energie, und als sie auf das Blatt sah und erkannte, dass sie nicht eine konkrete Idee aufgeschrieben hatte – ganz im Gegenteil, alles, das was auf dem Zettel stand, war nichts weiter als eine fixe, sinnfreie Gehirnspielerei –, fragte sie sich mit einem Mal, wer sie war. Wer war sie, dass sie scheinbar keine Träume und Pläne für ihr weiteres Leben hatte? Waren eine mögliche Hochzeit, das Führen eines Haushaltes und das Bekommen und Aufziehen von Kindern wirklich ihre einzigen Pläne gewesen? Das konnte, nein, das durfte nicht sein! Aber wenn sie auf das Blatt mit den Ideen blickte, schien es geradewegs so.
Annika blickte zur Uhr oberhalb der Tür und sah, wie der kleine Zeiger kurz vor der Eins stand. Lange würde die Nacht nicht für sie werden, aber das machte auch nichts, denn an Schlafen war sowieso nicht zu denken. Was brachte Schlaf denn anderes als das zu vergessen, was sie entdeckt hatte? Dass sie irgendwann in den letzten acht Jahren, auf dem Weg ihrer Beziehung, das Profil ihres eigenen Wesens verloren hatte. Oder hatte sie es vielleicht sogar freiwillig aufgegeben? Oder Marco hingegeben? Hier, nimm es, ich orientiere mein Leben und meine Pläne an
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