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Ein Ende des Wartens

Ein Ende des Wartens

Titel: Ein Ende des Wartens
Autoren: Christian Knieps
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holte es hervor und betrachtete den jugendlich aussehenden Mann auf dem Foto. Wie sehr er sich in den letzten Jahren verändert hatte, dachte sie. Von einem Milchbubi zu einem stattlichen Mann, der mitten im Leben stand. Das hatte sie zumindest gedacht! Niemals wäre sie auf die Idee gekommen, dass er aus diesem Leben ausbrechen wollte. Niemals! Es hatte auch keine Anzeichen dafür gegeben!
Als Annika wieder aufblickte, sah sie, dass sie eine Haltestelle vor der S-Bahn-Station war, von der aus sie in die Innenstadt gelangen würde. Sie nahm das Bild aus dem Seitenfach, blickte es noch ein letztes Mal an, drehte es um und steckte es mit der falschen Seite nach oben zurück ins Fach. Warum sie das in diesem Moment tat, wusste sie nicht, doch da der Bus gerade auf die nächste Station zufuhr, stand sie auf und ließ diesen unvollendeten Gedanken ins Leere ziehen.
     
     

2
    In der Innenstadt waren mitten in der Woche und um diese Uhrzeit nur wenige Menschen unterwegs. Entspannt konnte sich Annika in den Geschäften nach neuen Kleidungsstücken umsehen, ohne dass sie bei ihrer Suche etwas Passendes fand. Sie probierte eins nach dem anderen Kleidungsstück an, doch es wollte ihr nichts gefallen; selbst die Jacke, in die sie sich vor einigen Wochen verliebt und aufgrund des hohen Preises zurückgehängt hatte, gefiel ihr nicht mehr. Ob es an ihrer schlechten Grundstimmung lag oder an dem Umstand, dass man manche Kleidungsstücke nur in dem einen Moment des Entdeckens kaufen konnte, vermochte sie sich nicht zu beantworten.
Sie suchte Zuflucht in einem Café, das in dem Ruf stand, weit und breit den besten Kuchen zu haben. Sie bestellte sich eine Schokoladentarte und genoss den Latte Macchiato, der ihr mit einem doppelten Espresso serviert wurde. Es mochte wohl eher nicht an ihrer Grundstimmung liegen, denn sie konnte keine Unterschiede im Geschmack feststellen. Somit entschied Annika für sich, dass es wohl Kleidungsstücke wie die Jacke geben musste, die man nur in einem bestimmten Moment kaufen konnte – und wenn man diesen Moment verpasste, war die besonders tolle Jacke nichts weiter als eine stinknormale Jacke.
Nun war Marco weg! Dieser Gedanke schoss ihr wie ein Blitz durch den Kopf und plötzlich fröstelte sie, obwohl sie in dem windgeschützten Café saß und keinen Luftzug verspürte. Ihr Freund hatte sie für ein Jahr alleine zurückgelassen. Das war das Gefühl, das sie hatte: er hatte sie zurückgelassen! Es war nicht einmal die Option besprochen worden, dass sie mitkam! Auch das sonst zwischen ihnen übliche Absprechen von grundlegenden Entscheidungen hatte er ihr ohne Vorwarnung genommen. Annika wusste immer noch nicht, wie sie genau mit diesen Fakten umgehen sollte, doch in ihr verfestigte sich immer stärker der Gedanke, dass Marco ausbrechen wollte.
Aber warum hatte er nicht mit ihr gesprochen? Das schien die alles entscheidende Frage für Annika zu sein. Warum hatte er sie vor vollendeten Tatsachen gestellt, obwohl er wissen musste, dass sie ihn bei dieser Entscheidung unterstützt hätte – wenn er von Anfang an offen gewesen wäre? Dass sie in einer Situation, in der sie nichts mehr besteuern konnte, nicht die sich freuende Freundin zu spielen vermochte, musste Marco wohl klar gewesen sein. Es musste ihm doch klar gewesen sein! Es musste! Es musste!
Damit war klar, dass er sie verlassen wollte. Denn sonst wäre er sicherlich nicht das Risiko eingegangen und hätte Annika derart vor den Kopf gestoßen! Wenn er ihr schon vor den Kopf stieß, dann sollte er auch spüren, dass sie sich von diesem Umstand nicht aus der Bahn werfen ließ! Nein, sie würde nicht einknicken wie eine wehrlose Blume, auch wenn Marco sie mit seinem Stiefel zertreten hatte! Nein, sie würde nicht... – Was dachte sie sich eigentlich? Annika blickte auf und ließ ihren Blick ins Leere schweifen. Sie war doch nicht abhängig von Marco! Sie konnte doch ihr Leben auch ohne ihn führen! Natürlich war es für sie keine leichte Situation, da sich ihr alltägliches Leben vollständig verändern würde. Aber den Kopf in den Sand zu stecken und Trübsal zu blasen, war noch viel weniger ihre Sache. Sie musste, nein, sie würde sich neu orientieren, ihr Leben ohne ihn neu ordnen und schauen, was in dem nächsten Jahr passieren wird.
Kaum, dass sie sich selbst gesagt hatte, dass sie nun wieder vollständig und alleine für ihr Leben verantwortlich war, kam auch umgehend der Zweifel zurück, da ihr bewusst wurde, wie viele Aufgaben sie
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