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Shogun

Shogun

Titel: Shogun
Autoren: James Clavell
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Prolog
    Der Sturmwind zerrte an ihm. Er spürte, wie die Kälte sich tief in ihm ausbreitete, und er wußte: wenn sie nicht binnen drei Tagen Land sichteten, würden sie alle tot sein. Zu viele Todesfälle auf dieser Fahrt, dachte er; ich bin Hauptpilot einer toten Flotte. Ein Schiff übrig von fünf, achtundzwanzig Mann Besatzung von ursprünglich einhundertsieben – von denen allerdings nur zehn sich noch auf den Beinen halten können, während der Rest dem Tode nahe ist, darunter unser Generalkapitän. Kein Proviant, fast kein Wasser mehr, und das, was wir noch haben, brackig und faulig.
    Er hieß John Blackthorne, und er war allein an Deck – bis auf den Ausguck am Bugspriet, Salamon, der Stumme, der sich im Lee des Schanzkleides hingekauert hatte und die See vor ihnen absuchte.
    In einer plötzlichen Bö krängte das Schiff, und Blackthorne hielt sich an der Armlehne seines auf dem Achterdeck nahe dem Steuerrad festgezurrten Seestuhls fest, bis es sich ächzend wieder aufrichtete. Es handelte sich um die Erasmus, ein zweihundertsechzig Tonnen großes, dreimastiges, schwer bewaffnetes Kauffahrteischiff aus Rotterdam, mit zwanzig Kanonen bestückt und als einziges übriggeblieben von der ersten Expeditionsflotte, die von den Niederlanden ausgesandt worden war, dem Feind in der Neuen Welt vernichtende Schläge zu versetzen: den ersten holländischen Schiffen überhaupt, die den Geheimnissen der Magellanstraße mit Gewalt auf den Grund gingen. Vierhundertundsechsundneunzig Männer, durch die Bank Freiwillige und allesamt Holländer – bis auf drei Engländer: zwei Piloten und einen Offizier. Ihre Orders: die spanischen und portugiesischen Besitzungen in der Neuen Welt zu plündern und hinterher in Brand zu stecken; ständige Handelsniederlassungen zu eröffnen; neue Inseln im Stillen Ozean zu entdecken, die als dauernde Stützpunkte dienen konnten, und das Land für die Niederlande zu beanspruchen; und schließlich nach drei Jahren wieder nach Hause zurückzukehren.
    Die protestantischen Niederlande hatten seit über vier Jahrzehnten mit dem katholischen Spanien im Krieg gelegen und kämpften darum, das Joch ihrer verhaßten spanischen Herren abzuschütteln. Rein juristisch gesehen bildeten die Niederlande, manchmal auch Holland oder Duitsland genannt, immer noch einen Teil des spanischen Reiches. England, ihr einziger Verbündeter, das erste Land der Christenheit, welches mit dem Heiligen Stuhl in Rom gebrochen und vor nunmehr rund siebzig Jahren protestantisch geworden war, hatte in den vergangenen zwanzig Jahren gleichfalls Krieg gegen Spanien geführt und bekannte sich seit einem Jahrzehnt offen als Bundesgenosse der Holländer.
    Der Wind frischte noch mehr auf, und das Schiff schlingerte. Es lief unter gerefften Segeln – nur die Sturm-Marssegel waren gesetzt, doch selbst mit diesem wenigen an Leinwand trugen Strömung und Wind sie machtvoll auf den dunkelnden Horizont zu.
    Dort droht noch mehr Sturm, sagte Blackthorne sich, und noch mehr Riffe und noch mehr Untiefen. Und unbekannte See. Herrgott! Mein Leben lang hab' ich der See die Stirn geboten und bin immer Sieger geblieben. Ich werde immer Sieger bleiben!
    Der erste englische Pilot, der die Magellanstraße durchfahren hat! Jawohl, der erste – und der erste Pilot, der über diese asiatischen Meere segelt – bis auf ein paar Hunde von Portugiesen oder mutterlose Spanier, die sich immer noch einbilden, die Welt gehöre ihnen! Der erste Engländer in diesen Gewässern …
    In so vielen Dingen der erste! Jawohl. Und so viele Tote hatten diese Ersttaten gekostet!
    Abermals schmeckte er den Wind und schnupperte, aber nichts deutete auf die Nähe von Land hin. Er suchte das Wasser ab, aber das war nur grau und aufgewühlt. Kein Fleck Seetang und kein Farbtupfer, der auf eine Sandbank oder einen Küstensaum hätte schließen lassen. Zwar sah er steuerbords noch den Rücken eines Riffs, doch das verriet ihm nichts. Seit einem Monat schon bedrohten Unterwasserfelsen sie; nirgends jedoch eine Spur von Land. Dieser Ozean ist endlos, dachte er. Mein Gott! Dazu bist du doch ausgebildet worden – über das unbekannte Meer zu segeln, es kartographisch aufzunehmen und wieder nach Hause zurückzukehren. Wie viele Tage jetzt fern von daheim? Ein Jahr, elf Monate und zwei Tage. Das letzte Mal hatten sie in Chile Land gesichtet: vor hundertdreiunddreißig Tagen, am anderen Ende jenes Ozeans, den als erster Magellan vor achtzig Jahren befahren und den er den
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