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Ein Buch für Hanna

Ein Buch für Hanna

Titel: Ein Buch für Hanna
Autoren: Mirjam Pressler
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ist schon spät, wir müssen schlafen.«
    Die Mutter drehte ihr den Rücken zu und sagte nichts mehr. Aber ihre Atemzüge waren unregelmäßig und gepresst, als bemühe sie sich, das Weinen zu unterdrücken. Hannelore schloss die Augen und dachte: Ich werde das Meer sehen. Und Dänemark, das Land der Märchen. Und sie dachte auch: Vielleicht bin ich ja das hässliche junge Entlein, das in Dänemark zu einem Schwan heranwächst? Bei diesem Gedanken musste sie lächeln. Sie war froh, dass ihre Mutter dieses Lächeln nicht sehen konnte.
    Im Zimmer war es sehr dunkel und trotz des offenen Fensters hing in der Wohnung noch immer der Geruch nach Kartoffelsuppe.
    Riwke Salomon
    Nach Dänemark, haben sie gesagt, die Leute vom Bund. Zu zweit sind sie gekommen, wie damals, als ich für Helene unterschreiben musste. Hier, Frau Salomon, da, wo das Kreuzchen ist, und ich hab unterschrieben, weil Helene das wollte, und keine vier Wochen später war sie fort und ich hab sie nicht mehr gesehen. Nichts hab ich mehr von ihr, nur noch das Passbild, das sie letztes Jahr geschickt hat. Mit ganz kurzen Haaren wie ein Mann.
    Auch diesmal waren sie zu zweit, ein schlaksiger junger Kerl und ein Mädchen, so blond wie eine Schickse. Sie war es, die geredet hat. Sagen Sie Ja, Frau Salomon, es ist eine Chance für Hannelore, die dürfen Sie einfach nicht ausschlagen, Sie sehen doch selbst, dass es hier immer schlimmer wird.
    Ihre Stimme war ölig wie Fettgebackenes und triefend wie Honig, aber ich hab genau gesehen, mit was für Augen sie sich in meiner Küche umgeguckt hat, diese Schickse, Augen wie eine Schlange hat die gehabt. Sie dürfen Hannelore diese Möglichkeit nicht verbauen, hat sie gesagt. Als wär sie ganz sicher, dass sie recht hat. Dass sie immer recht hat.
    Wenn man so aussieht wie die, hat man leicht reden.
    Ich hab nicht gewusst, was ich sagen soll, was hätt ich auch sagen können, ich hab nur genickt und den Füller genommen, den sie mir hingehalten hat, und dann hab ich unterschrieben, wo sie den Finger draufgelegt hat. Richtig gesehen hab ich da schon nichts mehr, weil meine Augen nass geworden sind. Und dann sind sie weggegangen und ich hab mich um die Flickwäsche von Frau Ziegler aus der Drogerie gekümmert. Ihre Zwillinge haben schon wieder zerrissene Hosen und Löcher in den Strümpfen. Solche Lausbuben und gleich zwei auf einmal, das ist eine Strafe Gottes, sagt Frau Ziegler immer. Trotzdem, sie kann ihre Kinder behalten.
    Hachschara nennen sie das, wo sie die Kinder hinbringen, die sie ihren armen Müttern wegnehmen, weil die sich nicht wehren können. Dort sollen sie Landwirtschaft lernen, damit sie später in Erez Jisroel* den Boden bearbeiten können. Den Boden bearbeiten, wenn ich so was schon höre. Die Mädchen sollten lieber nähen lernen, dann hätten sie was fürs Leben. Ohne Nähen hätte mich Chajmke damals nicht genommen, er braucht eine Frau wie mich, hat er gesagt, die nähen kann und was von Stoffen versteht und die sich nicht zu fein ist, auch mal zuzupacken und ihrem Mann zu helfen, wenns nötig ist. So eine bin ich gewesen.
    Jetzt ist sie da, meine Hannelore, sie liegt drüben im Bett. Rot wie eine überreife Tomate ist sie, die arme Kleine. Dass sie sich, Gott behüte, keinen Sonnenstich geholt hat! Die Leute dort hätten auf sie aufpassen sollen, warum haben sie nicht besser auf sie aufgepasst? Und ich muss noch die Vorhänge für diese feine Dame fertig machen, die Frau von Doktor Sedlitz, viel Arbeit für die paar Mark, die ich dafür bekomme. Aber ich kann froh sein, dass sie mir überhaupt ein bisschen Arbeit geben, die arischen Damen. Die Doktorin hat ihr Dienstmädchen geschickt, abends, als es schon dunkel war, damit keiner sie sieht. Die feine Dame geht natürlich nicht mehr selbst in die Wohnung von einer Jüdin. Und ehrlich gesagt, es wär mir auch peinlich gewesen, geschämt hätt ich mich. Und ich soll die fertigen Vorhänge auch erst hinbringen, wenn es schon dunkel ist.
    Chajmke, warum hast du mir das angetan, warum bist du einfach gegangen und hast mich als arme, schutzlose Witwe mit den beiden Mädchen zurückgelassen? Und bald bin ich ganz allein. Die eine ist in Erez Jisroel und die andere geht nach Dänemark. Oje, pass doch auf, keine Träne auf den teuren Stoff. Keine Flecken von jüdischen Tränen in einem arischen Haus, Gott behüte.
    Es war schlimm, es war wirklich schlimm! Helene hat damals alles mitgekriegt, sie war alt genug, Hannelore nicht, glaub ich, die war ja gerade
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