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Ein Buch für Hanna

Ein Buch für Hanna

Titel: Ein Buch für Hanna
Autoren: Mirjam Pressler
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bekommen. Außer Joschkas Schokolade, und die hatte sie fast zum Weinen gebracht.
    Hannelore bückte sich, häufelte Erde auf die Kartoffelschnitze und drückte sie fest, wie Hella es ihnen gezeigt hatte. Die Erde war sonnenwarm und bröckelig, sie fühlte sich nachgiebig an, noch weicher als Samt, zerfiel zwischen ihren Fingern und ließ sich unter den Fußsohlen zerquetschen. Wenn sie die Zehen bewegte, spürte sie, wie sich trockene, warme Sandwülste zwischen ihnen hindurchdrückten und auf ihrem Fußrücken auseinanderbrachen. Auf dem Weg vom Schlösschen zum Acker war der Riemen ihrer rechten Sandale gerissen, deshalb hatte sie die Schuhe ausgezogen und auf dem Feldweg am Rand des Ackers stehen gelassen, neben den Körben mit den Wasserflaschen und den Broten fürs Mittagessen.
    Hannelore hob das Gesicht, die Sonne flimmerte vor ihren Augen. Die Mädchen in den Reihen neben ihr waren schon ein paar Meter weiter als sie, sie musste sich beeilen, wenn sie nicht gar zu weit zurückfallen wollte. Sie zwang sich, den Schmerz in ihrem Rücken und ihre brennende Haut zu ignorieren. Sie wollte nicht wieder die Letzte sein, das kleine dumme Ding, dem man helfen musste. Dabei wusste sie, dass niemand ihr Vorwürfe machen würde. Mira und die anderen würden höchstens sagen: »Armes kleines Püppchen«, und dann ruck, zuck das erledigen, was »die Kleine« nicht hinbekommen hatte.
    Hannelore legte das nächste Kartoffelstück in die Furche. Die Schalen waren von einem fahlen Graubraun, so hell wie die Erde, nur die angelaufenen Schnittflächen hoben sich von ihrer Umgebung ab. Viele Kartoffeln hatten schon getrieben, weiße Keime, gekrümmt wie dicke Maden, bei anderen waren nur rötlich umrandete, warzige Augen zu sehen, die in der Erde hoffentlich bald aufplatzen und den Keim freigeben würden. »Augen nach oben«, meinte sie Hellas strenge Stimme zu hören, und drehte schnell das Kartoffelstück so, dass die Augen nach oben schauten, zum Himmel, wenigstens einen Moment lang, bevor sie unter der Erde begraben wurden.
    Die Haut in ihrem Gesicht und auf ihren Armen spannte. Bestimmt würde sie wieder einmal einen Sonnenbrand bekommen, den ersten in diesem Jahr, aber vermutlich nicht den letzten.
    Bücken, ein Kartoffelstück aus dem Eimer nehmen, in die Furche legen, Erde anhäufeln, festdrücken. Den Eimer, der zum Glück ständig leichter wurde, einen Schritt weitertragen, bücken, ein Kartoffelstück in die Furche legen, Erde anhäufeln, festdrücken. Immer die gleichen Bewegungen. Und immer diese brennende Sonne, die wie festgewachsen am Himmel hing und sich einfach nicht weiterbewegen wollte.
    Mira, die schon fast am Ende ihrer Reihe angekommen war, rief ihr etwas zu, was Hannelore aber nicht verstand. Sie tat, als hätte sie ihren Namen nicht gehört, sie hatte keine Lust, mit Mira zu sprechen, jetzt nicht. Sie wollte die andere noch nicht einmal anschauen. Mira würde keinen Sonnenbrand bekommen, so braun, wie sie war, sie litt offenbar nicht unter der Hitze und schien auch nicht zu schwitzen, obwohl sie schneller arbeitete als die meisten Mädchen, jedenfalls schneller als Hannelore. Mira war ihr unheimlich, sie verstand die herablassende Freundlichkeit nicht, die sie ihr gegenüber an den Tag legte. Hannelore zog es vor, übersehen zu werden, daran war sie gewöhnt. »Ein jüdisches Kind darf nicht auffallen«, das war der zweithäufigste Satz ihrer Mutter. Außer wenn man Mira heißt und so schön und reich ist, dachte Hannelore jetzt bitter.
    Es wäre ihr nie eingefallen, Mira zu beneiden, weil sie von allen bewundert wurde. Neid macht dem Menschen nur das Herz schwer und vergiftet seine Gedanken, man muss zufrieden sein mit dem, was man hat, sagte ihre Mutter immer. Nein, Hannelore war weder neidisch auf Miras Aussehen noch auf ihre hübschen Kleider. Noch nicht mal darauf, dass Joschka ihr Bruder war, obwohl sie solch einen Bruder gern gehabt hätte.
    Was sie Mira aber nicht verzeihen konnte, war, dass sie den Spitznamen »Püppchen« für sie erfunden hatte. »Was, du bist wirklich schon vierzehn?«, hatte sie erstaunt gefragt, als Hannelore im April nach Ahrensdorf gekommen war. »Ich habe immer gedacht, du bist höchstens elf oder zwölf.« Hannelore hatte nicht gesagt, dass sie erst in ein paar Wochen vierzehn werden würde, und Mira hatte angefangen, sie »Püppchen« zu nennen, ein Name, den die anderen Mädchen sofort übernommen hatten.
    Manchmal hörte es sich fast freundlich an, wenn sie »armes
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