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Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Titel: Nemesis 04 - In dunkelster Nacht
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    »Das ist die Panik ... Eine Kinderstimme, das ist doch blanker Unsinn. Ein Kind wäre niemals zu so etwas fähig.« Judith hatte den Kopf zur Seite gewandt. Nachdem sie ihre Umklammerung von meinem Oberkörper gelöst und sich Carl zugewandt hatte, war sie offensichtlich unfähig, Eds Leichnam ein weiteres Mal zu betrachten. Sie hatte mein volles Verständnis dafür: Mit zur Seite gesacktem Kopf und der klaffenden Wunde am Hals, sah er aus wie Stück Vieh, das geschlachtet und zum Ausbluten aufrecht auf den billigen Plastikstuhl gesetzt worden war. Ich wünschte mir, zum Selbstschutz so viel Konsequenz aufbringen zu können wie sie, und Ed nicht, wie es bei mir immer wieder der Fall war, mit maso-chistischer Lust und gegen die stets wieder aufsteigende Übelkeit ankämpfend, ständig aus den Augenwinkeln betrachten zu müssen.
    Ich erschrak ein wenig vor mir selbst, als ich feststellte, dass ich keinerlei Mitleid mit ihm empfand, sondern lediglich Ekel vor seinem Anblick und Abscheu vor der Unmenschlichkeit dessen, was mit ihm geschehen war.
    Nach wie vor versuchte ich fast gewaltsam, gegen die detaillierte Vorstellung anzukämpfen, mit welcher Kaltblütigkeit und mit welchem Blutdurst sein Mörder wohl vorgegangen war; es war noch lange nicht genug Zeit vergangen, um den Bildern, die meine Fantasie hinter meiner Stirn schillernd kreierte, ihren Schrecken zu nehmen. Aber es tat mir nicht sonderlich Leid, dass Ed nicht mehr bei uns war, und ich bedauerte nicht, dass es ihn getroffen hatte, sondern verspürte sogar so etwas wie Erleichterung darüber, dass der Killer nicht beispielsweise Judith erwischt hatte, oder gar mich selbst.
    Mit einem Anflug von Ekel über meine eigenen Gedanken zog ich Judith ein wenig dichter an mich heran, schnupperte einen Moment lang an ihrem Haar und genoss das warme, beruhigende Gefühl, das sich bei der Erinnerung an den intimen Augenblick im Keller in mir ausbreitete – vielleicht, um mich davon zu überzeugen, dass ich noch fühlen konnte. Ich hatte Ed nicht ausstehen können, aber das rechtfertigte mich nicht vor mir selbst.
    Er war ein verdammtes Großmaul gewesen, ein Egozentriker wie aus dem großen Brockhaus ausgeschnitten und Fleisch geworden, aber das war nur eine der Seiten, die ich in der kurzen Zeit, die wir miteinander verbracht hatten, von ihm kennen gelernt hatte. Konnte meine Abneigung gegen diesen Maulhelden denn wirklich groß genug sein, dass nicht einmal sein Tod sie versiegen ließ? Ich verlangte keine Trauer von mir – aber wenn ich ganz genau in mich hineinhorchte, flüsterte eine leise, gemeine Stimme sogar, dass es mir ganz recht so war, weil er uns bisher ohnehin nur eine Last, ein zusätzlicher Klotz am Bein gewesen war.
    War das ich?
    Ich suchte nach der Stimme, die Kontra rief – nach der, die von der Verbundenheit sprach, die ich empfunden hatte, als Cowboystiefel-Ed von seiner Kindheit in verschiedenen Internaten geredet hatte, vom frühen Tod seiner Eltern und von seinem Großvater, der, Nazi hin oder her, immer für ihn da gewesen war. Das Gefühl, auf grausamste Art und Weise einen Menschen verloren zu haben, für den ich zwar eine spontane Antipathie empfunden hatte, mit dem mich aber ein erschreckend ähnliches Schicksal verband, an welches zu erinnern ich in den vergangenen Jahren mehr oder weniger erfolgreich angekämpft hatte. Aber da war nichts. Mein Gehirn suchte vergeblich nach einer Spur des Bedauerns in meinem Herzen. Reichte eine Nacht des Grauens aus, einen Menschen (mich!?) so tief greifend zu verändern? Oder veränderte ich mich vielleicht gar nicht wirklich, und dieser zynische, gefühlskalte Kerl war schon immer ein Teil meiner Persönlichkeit gewesen, so gut verborgen, dass selbst ich ihn nicht erahnt hätte hinter der Maske des manchmal etwas ungeschickten, aber meines Erachtens durchaus liebenswerten, smarten Frank.
    »Kinder tun so etwas nicht!«, wiederholte Judith noch einmal so entschieden, als könne sie, wenn sie es nur oft genug sagte, den Tod Eds damit ungeschehen machen.
    »Noch nie was von den Kindersoldaten in Afrika gehört?« Ellen Stimme war klar und sachlich. Sie betrachtete Ed mit dem abschätzenden Blick der Medizinerin, die schon jegliche Art von Schnittwunden gesehen hatte. Ich wusste nicht, welcher Art die Pillen waren, die Ellen in der Tasche mit sich herumtrug und die meiner Einschätzung nach wohl dazu beigetragen hatten, dass sie ihre heftige Platzangstattacke so schnell wieder losgeworden war,
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