Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Titel: Nemesis 04 - In dunkelster Nacht
Autoren:
Vom Netzwerk:
ich erwartet hätte, merkte man doch, dass diese Spitze gesessen hatte. Es war nur ein Zucken des Muskels zwischen ihrem Wangenknochen und dem rechten Auge, eine kaum sichtbare Regung bloß, aber sie zeigte allzu deutlich, wie sehr Judiths Worte sie getroffen hatten.
    Wahrscheinlich hatte Judith den Nagel auf den Kopf getroffen, ohne wirklich darauf abgezielt zu haben, dachte ich bei mir. Nein, Ellen hatte keine Ahnung von der menschlichen Seele, nicht einmal von ihrer eigenen. Aber sie war dabei, unfreiwillig eine ganze Menge darüber zu lernen.
    Ellen blinzelte. Auf einmal schien sie sehr erschöpft, und ein leichtes Beben ihres Unterkiefers verriet, dass sie nur mühsam ein Gähnen unterdrückte. Sie sah Judith nicht ins Gesicht. Mein Blick folgte dem ihren und blieb an der Wunde an Judiths Arm hängen. Sie hatte übel ausgesehen, als ich sie zuletzt betrachtet hatte – nun aber bot sie einen nahezu dramatischen Anblick. Der tiefe Schnitt in ihrem Oberarm war erneut und wenn ich mich nicht täuschte sogar noch weiter aufgeplatzt, sodass wieder dickes, dunkles Blut aus der Wunde hervorquoll und nicht einfach nur auf den Boden tropfte, sondern gleich als dünner Faden an ihrem Arm hinabrann und eine hässliche, kleine Pfütze zwischen ihren und meinen Füßen bildete. Ich sog erschrocken die Luft zwischen den Zähnen ein.
    »Ich sollte mir das mal näher ansehen«, sagte Ellen müde, aber entschlossen und trat einen Schritt auf Judith zu.
    »Das ist nichts«, winkte Judith ab und wich vor Ellen und auch vor mir zurück. Ich bemerkte, wie unsicher, fast taumelnd ihr Gang war. Als hätte sie erst in dem Augenblick, in dem Ellen sie darauf aufmerksam gemacht hatte, bemerkt, wie schwer sie verletzt war, ging ihr Atem plötzlich schwer und laut, und ein schmerzverzerrter Ausdruck trat auf ihr Gesicht. Erst jetzt fiel mir auf, wie bleich sie geworden war. Ihre Haut war weiß wie die sprichwörtliche Kreide, und die wenigen Sommersprossen um ihre Nase herum leuchteten wie Glutfunken, die sich durch eine frische Schneedecke gebrannt hatten.
    »Die Wunde scheint mir sehr verschmutzt zu sein«, setzte Ellen zu einer ersten Diagnose an, aber Judith schnitt ihr energisch das Wort ab und funkelte sie zornig an. »Was macht das schon, wenn wir ohnehin alle sterben?«, fuhr sie Ellen an, als trüge die Ärztin die alleinige Schuld für unser düsteres und unausweichliches Schicksal. »Ich glaube nicht, dass ich noch lange genug lebe, um ganz allmählich an einer Blutvergiftung zu krepieren.«
    Einen kurzen Moment lang herrschte bedrückende Stille. Ellen und ich starrten Judith mit einer Mischung aus Schrecken, Ungläubigkeit und plötzlicher, grauenhafter Erkenntnis an, während Judith sich selbst erschrocken die Hand vor den Mund presste, als hätte sie das, was sie selbst gesagt hatte, erst verstanden, nachdem es über ihre Lippen gesprintet war. Ich fühlte mich wie ein Angeklagter in einem Gerichtssaal, in dem gerade das Todesurteil verkündet worden war.
    Ich forderte Berufung. Ich hatte mir nichts zuschulden kommen lassen und würde mich nicht widerstandslos ergeben. Mein eigenes Leben würde ich so teuer wie möglich verkaufen und auch nicht dulden, dass einem der anderen irgendetwas zustieß!
    »Wir werden uns einfach irgendwo verschanzen und von jetzt an zusammenbleiben«, sprudelte es aus mir hervor. »Sie haben uns immer erwischt, wenn wir allein waren. Das darf nicht wieder passieren! Es können höchstens noch ein paar Stunden bis zum Morgengrauen sein ... Ich habe nicht vor, hier einfach so draufzugehen!«
    »Noch etwas mehr als drei Stunden, dann wird es hell«, stellte Ellen mit einem Blick auf ihre sündhaft teure Armbanduhr fest, die im Gegensatz zu meiner noch keine bleibenden Schäden aus dieser Nacht davongetragen hatte. Nachdem sie ihren ersten Schrecken überwunden hatte, war ihr Gesicht wieder zu einer ausdruckslosen, wie versteinert wirkenden Maske erstarrt, von dem abzulesen, was sie denken oder empfinden mochte, eine schier unlösbare Aufgabe war. »Und noch etwas: Ed war keineswegs allein, als er ermordet wurde.«
    »Wir ziehen uns in irgendein abgelegenes Zimmer zurück, das nur einen Eingang hat«, wiederholte ich, wobei ich ihren Hinweis auf die genaueren Umstände von Eduards Tod geflissentlich überging. »Wir könnten uns dort verbarrikadieren und –«
    »Zuallererst sollte ich nach Judiths Arm sehen«, unterbrach Ellen mich seufzend. »Ich weiß nicht, wie viel Blut sie verloren hat, aber ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher