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Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Titel: Nemesis 04 - In dunkelster Nacht
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Gedanken und Gefühle zuließ, für die ich mich jetzt schon vor mir selbst in Grund und Boden schämte). Aber auch wenn ich meine Menschenkenntnis in den vergangenen Stunden von Zeit zu Zeit für so überragend gehalten hatte, dass ich es mir sogar anmaßte, Ellens Verfassung psychologisch auszuwerten, täuschte das nicht darüber hinweg, dass ich im wahren Leben ein emotionaler Trampel, ein Versager in Sachen Einfühlungsvermögen und Verständnis war. Immerhin war genau das einer der Gründe, aus denen ich trotz meiner nun auch nicht mehr ganz jungen Jahre noch immer Junggeselle war und noch nicht einmal ansatzweise darüber nachgedacht hatte, eine Familie zu gründen und Kinder zu bekommen, ehe ich von den absurden, testamentarisch festgelegten Bedingungen des Professor Sänger gehört hatte. Wie sollte ich ein kompliziertes Wesen wie die rothaarige Ärztin zuverlässig einschätzen können, wenn ich mich gerade in diesen Stunden selbst nicht verstand? »Wäre es denkbar, dass jemand nur seine Stimme verstellt hat, um wie ein Kind zu wirken?«, erklärte ich meine Frage.
    »So kann man seine Stimme nicht verstellen.« Carl schüttelte entschieden den Kopf. »Ich sage euch, es war ein Kind«, beharrte er schluchzend.
    »Sollten wir nicht nach Maria suchen?«, fragte Judith, um von dem Unvorstellbaren, das der Wirt uns nahe zu legen versuchte, abzulenken. »Ich meine, vielleicht ist ihr etwas zugestoßen und sie braucht unsere Hilfe.«
    »Wenn ihr etwas zugestoßen ist, dann braucht sie unsere Hilfe nicht mehr«, entgegnete Ellen trocken und strich sich mit fahriger Geste eine Haarsträhne aus der Stirn. »So war es jedenfalls jedes Mal bisher.« Sie machte eine kurze Pause und sah dabei jeden einzelnen in der Runde durchdringend an. »Aber vielleicht sucht sie ja auch nach uns?«
    Es ist alles nicht echt, dachte ich bei mir. Ihre Coolness, ihre Sachlichkeit – das alles war nur aufgesetzt, nur Teil der auf den ersten Blick scheinbar so makellosen Fassade, von der wir in dieser Nacht bereits zweimal festgestellt hatten, dass sie diese beinahe so schnell wieder um sich herum zu errichten in der Lage war, wie man sie zum Einsturz bringen konnte, wenn man nur an den richtigen Steinchen rüttelte. Der Umstand, dass selbst die erfahrene, abgebrühte Ärztin in unserer Situation mit der Panik zu kämpfen hatte, beruhigte mich. Es machte mich sogar ein bisschen stolz, dass ich im Gegensatz zu ihr, der Unantastbaren, der Kühlen und der Harten, meine Selbstkontrolle – zumindest nach außen hin – bisher noch nicht vorübergehend eingebüßt hatte. Außerdem machte es sie ein kleines bisschen menschlicher. Oder aber verdächtig. Ich maß die rothaarige Ärztin mit einem verstohlenen Blick. Ob es mehr als einen Täter geben konnte?
    Nein, versuchte ich mich selbst schnell wieder zur Vernunft zu bringen. Das war undenkbar! Dann hätten Ellen und Carl gemeinsame Sache machen müssen. Dieser dicke, langhaarige Tölpel und die arrogante Schönheit als kaltblütiges Killer-Team, Bonnie und Clyde in Psycho auf Burg Crailsfelden? Eher ging die Sonne im Westen auf, als das diese beiden miteinander kooperieren würden. Oder sie hatte es allein getan. Ellen war die einzige im Raum, deren Kleider nicht blutverschmiert waren, was sie auf Anhieb entlasten mochte, auf den zweiten Blick aber irrelevant erschien, wenn es sie nicht sogar erst recht verdächtig machte. Sie war Chirurgin.
    Wenn es jemand von uns hätte bewerkstelligen können, Ed die Kehle durchzuschneiden, ohne dabei auch nur einen einzigen Tropfen Blut abzubekommen, dann sie, weil sie ganz genau wusste, was wann in welche Richtung spritzen würde. Und wie verhielt es sich mit Judith, meinem niedlichen kleinen Pummelchen, das sich in diesen Augenblicken so scheinbar schwach und schutzbedürftig an mich schmiegte? Ob sie wohl eine Mörderin sein konnte? War es vielleicht gar nicht Abscheu oder Angst vor der Realität, die sie dazu zwang, ihre Blicke nach überall hin zu wenden, außer in Eds Richtung, oder konnte sie nur die Konfrontation mit dem, was sie getan hatte, nicht ertragen. Oder fürchtete sie etwa gar, sich selbst zu verraten, wenn sie seinen entstellten Leichnam betrachtete und sich dabei vielleicht unwillkürlich ein kleines bisschen Zufriedenheit in ihren Blick schlich? War es wirklich nur ihr eigenes Blut, das ihr T-Shirt durchtränkt hatte? Konnte eine so kleine Wunde so stark bluten? Es wäre doch möglich gewesen, dass sie überhaupt nicht die ganze Zeit
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