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Echo Einer Winternacht

Titel: Echo Einer Winternacht
Autoren: Val McDermid
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über seine Lage nach. Beim Überlegen wurde ihm alles klar. Sie hatten eine Leiche gefunden und wurden deshalb wohl verdächtigt.
    Jedermann wusste schließlich, dass bei der Untersuchung eines Mordfalls die ersten Kandidaten für eine Verhaftung entweder die waren, die das Opfer zuletzt lebend gesehen hatten, oder diejenigen, die die Leiche fanden. Beides traf auf sie zu. Er schüttelte den Kopf. Die Leiche. Er fing schon an genauso zu denken wie sie. Aber es ging hier nicht einfach um eine Leiche.
    Es war Rosie. Jemand, den er kannte, wenn auch nur flüchtig. Er vermutete, dass ihn dies alles noch verdächtiger machte. Aber daran wollte er jetzt gar nicht denken, sondern diese entsetzlichen Dinge verdrängen. Wann immer er die Augen schloss, sah er die Bilder vom Hügel wie Filmszenen vor sich ablaufen. Rosie, schön und sexy, lag verwundet und blutend im Schnee. »Denk an etwas anderes«, sagte er laut vor sich hin.
     
    Er fragte sich, wie die anderen auf die Vernehmung reagieren würden. Weird war völlig weggetreten, das stand fest. Er hatte mehr intus als nur ein paar Drinks. Alex hatte ihn mit einem Joint in der Hand gesehen, aber bei Weird wusste man nie, was er sonst noch genommen hatte. Es war auch LSD
    herumgegangen. Alex selbst hatte mehrmals abgelehnt. Er hatte nichts gegen einen Joint, wollte sich aber nicht das Hirn kaputtmachen. Weird war allerdings auf jeden Fall immer offen für alles, was der Erweiterung seines Bewusstseins dienen konnte. Alex hoffte inständig, dass die Wirkung all dessen, was er geschluckt, eingeatmet oder geschnieft hatte, bis zu seiner Vernehmung abgeklungen sein würde. Andernfalls war es eher wahrscheinlich, dass Weird die Bullen wirklich ziemlich verärgern würde. Und jeder Dummkopf wusste, dass das während der Ermittlungen zu einem Mordfall nicht gerade eine gute Idee war.
    Bei Mondo war das etwas anderes. Die Sache würde ihn auf ganz andere Art und Weise verstören. Wenn man es recht betrachtete, war Mondo sensibler, als gut für ihn war. In der Schule war immer auf ihm herumgehackt worden, er wurde Flasche genannt, zum Teil wegen seines Aussehens und auch, weil er sich nie wehrte. Seine Haare hingen in festen Löckchen um sein elfenzartes Gesicht, seine großen saphirblauen Augen waren immer weit offen wie die einer Maus, die aus einem Loch herausspäht. Die Mädchen mochten das, sicher. Alex hatte einmal mitbekommen, dass zwei sich kichernd unterhielten, Davey Kerr sehe genau wie Marc Bolan aus. Aber in der High School von Kirkcaldy konnte etwas, das einem die Gunst der Mädchen versprach, auch Prügel auf der Toilette einbringen.
    Hätte Mondo nicht die anderen drei hinter sich gehabt, wäre es ihm ziemlich dreckig gegangen. Aber man musste ihm anrechnen, dass er das nie vergaß und ihnen ihre Gefälligkeiten verzinst zurückzahlte. Alex wusste, dass er die Französisch-prüfung ohne Mondos Hilfe nie geschafft hätte. Aber der Polizei würde Mondo allein gegenüberstehen. Alex sah ihn förmlich vor sich, wie er mit gesenktem Kopf, ab und zu einen verstohlenen Blick wagend, an der Nagelhaut seines Daumens nagte oder mit dem Deckel seines Zippo-Feuerzeugs spielte. Sie würden die Geduld verlieren und glauben, dass er etwas zu verbergen hatte.
    Niemals, nicht in tausend Jahren, würden sie Mondos großem Geheimnis auf die Spur kommen, dass es nämlich in neunundneunzig von hundert Fällen gar kein Geheimnis gab –
    nichts Mysteriöses, das sich in einem Rätsel versteckte. Er war einfach ein Junge, der auf Pink Floyd abfuhr, gerne Fisch und Chips mit reichlich Essig aß und außerdem auf Tennent-Bier und Bumsen stand. Und der merkwürdigerweise Französisch sprach, als hätte er es auf dem Schoß seiner Mutter gelernt.
    Allerdings gab es heute Nacht doch ein Geheimnis. Und wenn einer von ihnen nicht dichthalten konnte, dann wäre es bestimmt Mondo. Bitte, lieber Gott, lass ihn den Landrover für sich behalten, dachte Alex. Im besten Fall würden sie alle gemeinsam dafür angeklagt werden, ohne die Zustimmung des Besitzers damit gefahren zu sein. Im schlimmsten Fall würden die Bullen feststellen, dass einer von ihnen – oder sie alle – ein perfektes Transportmittel gehabt hatten, um das sterbende Mädchen an einen stillen Ort zu verfrachten. Weird würde nichts sagen, er hatte am meisten zu verlieren. Er war derjenige gewesen, der, als er ins Lammas gekommen war, Henry Cavendishs Schlüsselbund geschwenkt und dabei breit gegrinst hatte wie der Gewinner auf einer
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