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Echo Einer Winternacht

Titel: Echo Einer Winternacht
Autoren: Val McDermid
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hatte sie – und das nicht zum ersten Mal – gefragt, wann sie mit der Arbeit fertig wäre, und hatte ihr sogar gesagt, zu wessen Party sie dann gehen wollten. Er hatte die Adresse auf die Rückseite eines Bierdeckels gekritzelt und ihn ihr über den feuchten Tresen hingeschoben. Sie hatte ihn mit einem mitleidigen Lächeln an sich genommen. Er hatte den Verdacht, dass er direkt im Abfalleimer gelandet war. Was sollte auch eine Frau wie Rosie mit einem grünen Jungen wie ihm anfangen? Bei ihrem Aussehen und ihrer Figur konnte sie sich die Männer aussuchen und sich jemanden nehmen, mit dem sie Spaß haben konnte, nicht aber einen armen Studenten, der mühsam mit seinem Stipendium auskommen musste, bis er seinen Ferienjob antrat und Supermarktregale einräumte.
    Wie konnte es nur Rosie sein, die da blutend im Schnee des Hallow Hill lag? Ziggy musste sich getäuscht haben, sagte sich Alex immer wieder und bog dann links auf die Hauptstraße ab.
    Es konnte jedem passieren, sich beim flackernden Schein von Mondos Zippo zu täuschen. Und Ziggy hatte ja nie besonders auf die dunkelhaarige Bedienung an der Bar geachtet. Das hatte er Alex und Mondo überlassen. Es musste irgendein armes Mädchen sein, das Rosie ähnlich sah. So war es bestimmt, beruhigte er sich. Ein Irrtum, bestimmt war es einfach ein Irrtum.
    Alex zögerte einen Moment, holte Luft und fragte sich, in welche Richtung er laufen sollte. Es gab viele Häuser in der Nähe, aber in keinem war noch Licht. Selbst wenn er jemanden wecken konnte, bezweifelte er, dass man mitten im Schneesturm einem verschwitzten jungen Mann mit einer Bierfahne die Tür öffnen würde.
    Dann fiel ihm etwas ein. Um diese Zeit stand nachts immer ein Polizeiauto am Haupteingang des Botanischen Gartens, nur eine Viertelmeile von hier entfernt. Sie hatten es oft genug gesehen, wenn sie frühmorgens nach Hause wankten, und den prüfenden Blick des Polizisten in dem Wagen wohl bemerkt, während sie versuchten, möglichst nüchtern zu erscheinen. Weird ließ sich bei dem Anblick immer zu einer seiner Tiraden über Korruption und Arbeitsscheu der Polizei hinreißen. »Sie sollten lieber die richtigen Gangster da draußen jagen und die grauen Männer in Nadelstreifen schnappen, die uns beklauen, statt mit einer Thermoskanne Tee und einer Tüte Kekse die ganze Nacht hier zu hocken und darauf zu hoffen, dass sie irgendeinen Besoffenen erwischen, der in eine Hecke pisst, oder einen Trottel, der zu schnell nach Hause fährt. Faule Kerle.« Vielleicht würde heute Nacht Weirds Wunsch zum Teil in Erfüllung gehen. Denn es sah so aus, als würde der faule Kerl in der grünen Minna mehr zu tun bekommen, als er erwartet hatte.
    Alex wandte sich in Richtung Canongate und begann wieder zu laufen, der frische Schnee knirschte unter seinen Stiefeln. Als er Seitenstechen bekam, sein Laufen zu einem unregelmäßigen Humpeln und Hüpfen wurde und er nach Luft schnappen musste, wünschte er, er hätte sein Rugbytraining nicht aufgegeben. Nur noch ein paar Dutzend Meter, sagte er sich.
    Jetzt, wo Rosies Leben vielleicht davon abhing, wie schnell er rannte, durfte er nicht schlappmachen. Der Schnee fiel inzwischen noch dichter, so dass er kaum weiter als zwei Meter sehen konnte, wenn er nach vorn spähte. Er sah das Polizeiauto erst, als er fast schon davor stand. Während sein schweißbedeckter Körper gerade dabei war, sich erleichtert zu entspannen, umklammerte schon wieder die Angst sein Herz.
    Vom Schock und der Erschöpfung ernüchtert, wurde Alex klar, dass er keinerlei Ähnlichkeit mit der Sorte ehrenwerter Bürger hatte, die normalerweise ein Verbrechen meldete. Er war zerzaust und verschwitzt, blutbefleckt und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Irgendwie musste es ihm gelingen, den Polizisten, der schon halb aus seinem Streifenwagen gestiegen war, zu überzeugen, dass er sich das alles nicht einbildete und es sich auch nicht um irgendeinen Streich handelte. Einen halben Meter vor dem Wagen kam er zum Stehen, wartete, bis der Fahrer ausgestiegen war, und bemühte sich, möglichst wenig bedrohlich auszusehen. Der Beamte setzte seine Mütze auf dem kurzen dunklen Haar zurecht und schaute Alex argwöhnisch von der Seite an. Trotz seines dicken Uniformanoraks sah Alex, wie angespannt seine Körperhaltung war. »Was gibt’s, Junior?«, fragte er. Obwohl er ihn so herablassend ansprach, wirkte er kaum älter als Alex selbst und strahlte ein Unbehagen aus, das gar nicht zu seiner Uniform passte.
    Alex
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