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Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Titel: Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Autoren: Renegald Gruwe
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Kapitel 1
    Der Dienstag war leer, und ihre Schönheit hatte sich nicht gezeigt. Auch der Mittwoch floss träge an ihm und seiner Staffelei vorbei. Am Donnerstag fand er kein Feuer mehr in ihren Augen. Am Freitag überlegte er, ob er lieber sie oder die Malerei aufgeben sollte. Die schlichte Tatsache, dass ihr Gatte in zwei Tagen von einer Gesandtschaftsreise wieder zurück nach Venedig kam, nahm ihm die Entscheidung ab.
    Unwirsch schmierte der Maler das Kadmiumgelb in das Delftblau über ihrem Kopf und den darüber verschränkten Armen. Die Haare unter ihren Achseln hatte er betont, und auch ihre Scham fiel üppiger aus als in Wirklichkeit. Ursprünglich wollte er ihre Augen zum Mittelpunkt des Bildes machen. Aber von Tag zu Tag gingen der Glanz und die Faszination ihrer Aura verloren. Wie konnte es nur geschehen, dass bereits nach einer Woche verflogen war, was auf Leinwand für die Ewigkeit Bestand haben sollte? Hatte er sich diesmal denn so getäuscht? Das Bild war gar nicht mal schlecht, doch blieb dessen Aussage weit hinter der ursprünglichen Absicht zurück.
    Nein, Maria hatte sich nicht verändert. Sie liebte wie am ersten Abend mit großer Leidenschaft. Ihren Mund hätte er nicht sinnlicher malen können, und auch ihre Brüste hatten auf der Leinwand nichts von ihrer erotischen Anziehungskraft auf den Maler eingebüßt. Nur ihre Augen. Ihr Blick. Der Maler fand keine Erklärung für das fehlende Leben, für das erloschene Feuer in ihren Augen, das ihn noch vor einigen Tagen magisch angezogen hatte.
    Maria kleidete sich an, und als spürte sie die Unzufriedenheit des Künstlers mit seinem Werk, beschränkte sie die Verabschiedung auf einen flüchtigen Kuss. In den wenigen Tagen, seit sie sich kannten, hatte sie seine unberechenbaren Stimmungsschwankungen mehr als einmal kennengelernt.

    Gustave Garoches hochgewachsene Figur konnte man getrost als schlank bis hager bezeichnen. Seine Größe überschritt knapp eins achtzig. Die Gesichtshaut, bartlos und wie der Rest seines Körpers ohne jegliche Bräune, war straff und hatte die Elastizität eines Fünfundzwanzigjährigen, nicht die eines Mannes in den Dreißigern. Um die Augen unübersehbarer Ernst, in einigen Zügen ein Hauch Melancholie. Zur scharfen Beobachtung neigend, verstörte er seine Mitmenschen mitunter durch ein Herabziehen der Brauen, seinen durchdringenden Blick. Gemeinsam mit der fast schon grimmig wirkenden Mundpartie vermittelte er so zunächst den Eindruck eines eher mürrischen Zeitgenossen.
    Auf seinem Selbstporträt von 1931, das die Westwand seines Ateliers zierte, sah er aus, als plage ihn die Schwindsucht. Nur mit einer Lumpenhose bekleidet, den Oberkörper, aus dem die Rippen hervorstachen, frei, stand er barfuß vor seiner Staffelei, Pinsel und Palette in Rembrandt’scher Manier vor sich. Das wilde Farbspektakel im Hintergrund zeigte die Bucht und den Hafen von Neapel. Die Haare hingen ungepflegt herunter, und die Augen fixierten aus ihren tiefen Höhlen heraus den unbekannten Betrachter. Eduard, der ihn damals für einige Wochen besucht hatte, erschrak über die krasse Selbstwahrnehmung des Freundes.

    Jetzt, im milden Frühjahr des Jahres 1936, trug der Maler das Haar kurz geschnitten, und man sah seiner körperlichen Verfassung die regelmäßige Ernährung und die ausgedehnten Spaziergänge auf dem Festland vor der Lagunenstadt an. Nachdem die Geliebte gegangen war, ließ sich Garoche von Caruso ablenken, dessen Tenor trotz des störenden Kratzens der Nadel auf der Schallplatte wunderschöne Töne formte und sie aus dem Grammofon heraus durch das Atelier des Malers fliegen ließ, als seien es Federn. ›Che gelida manina‹ aus Giacomo Puccinis ›La Bohème‹ trug seine Gedanken fort von Maria.
    Leise summte der Maler die Melodie des Sängers, und Traurigkeit über das Unmögliche überkam ihn bei seinem nächsten Gedanken. Könnte er diese Stimme nur in Farben fassen und auf der Leinwand festhalten! Er wäre ein gemachter Mann. Seine Bilder hingen neben van Gogh und Gauguin in den großen Museen dieser Welt. Unvermittelt sprang er aus seinem alten Leinenstuhl und versuchte wie wild, nach den Tönen zu greifen. Wie ein Besessener fuchtelte er mit den Armen und fiel beinahe aus dem weit geöffneten Fenster seines Balkons. Aber die Töne flogen ungebunden und frei aus dem Atelier über die Calle Volpi und weiter über die Laguna Veneta hinaus übers Meer. Wann würde er ihnen folgen? An welchen Ort würde es ihn
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