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Dunkle Tage

Dunkle Tage

Titel: Dunkle Tage
Autoren: Gunnar Kunz
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aber ich weiß nicht …“
    „Oder Thor?“
    „Nein, keine Ahnung. Hören Sie, ich hoffe, ich kann mich darauf verlassen, dass der Vorfall mit der nötigen Diskretion behandelt wird. Die Firma hat einen Ruf zu verlieren, und ich möchte unsere Geschäftspartner nicht unnötig beunruhigen.“
    „Das kann ich Ihnen leider nicht versprechen. Außerdem muss ich das Arbeitszimmer versiegeln lassen.“
    „Aber ich brauche die Geschäftsunterlagen!“
    „Tut mir Leid. In ein paar Tagen, wenn wir klarer sehen, lasse ich den Raum vielleicht wieder öffnen.“
     
    Der Nächste, der hereinkam, war Friedrich Unger, der jüngste der drei Brüder. Er war ein Mann, den man eher auf einem Fest als in einer Fabrik anzutreffen erwartete. Oder in einer Künstlerkolonie, nach durchzechter Nacht. Seine Augen, unter langen Wimpern halb verborgen, erweckten den Eindruck, als sei er eben erst aufgestanden, und er bewegte sich mit der trägen Anmut einer Katze. Er war ein Charmeur – sein einnehmendes Lächeln hatte ihm sicher schon so manches Mal aus der Patsche geholfen – und, wie sich im Laufe des Gesprächs zeigte, überaus kultiviert. Ein nichtsnutziger Bohemien, gewiss, aber ein sympathischer, dem man deshalb jeden Unfug verzieh. Nach einiger Überlegung gab Hendrik seiner Karikatur das Aussehen eines Flamingos.
    „Sie sind ziemlich jung“, meinte Gregor erstaunt.
    Friedrich lächelte, aber es war ein bitteres Lächeln. „Ich bin ein Nachzügler, wie mein Vater immer zu sagen pflegte. Nächsten Monat werde ich 46.“
    „Darf ich fragen, was Ihre Position im Familienunternehmen ist?“
    „Ich bin das Enfant terrible.“
    „Würden Sie das bitte näher erklären?“
    „Ich lebe in einer anderen Welt als meine Brüder. Sie haben Hermann ja kennen gelernt, er ist wie Max. Die Firma bedeutet ihm alles. An den Grenzen des Unternehmens endet sein Horizont. Mir ist das zu eng. Ich würde ersticken, wenn ich nicht von Zeit zu Zeit ausbrechen würde. Ich verkehre in anderen Kreisen als meine liebe Familie, was mir hier nicht viel Beifall einträgt.“
    „Was für Kreise?“
    „Theater, Literatur, Musik. Wir leben praktisch Haus an Haus mit Leuten wie Lilli Lehmann und Alfred Kerr. Ein paar hundert Meter weiter, am Herthasee, wohnen die Mendelssohns, Bankiers, die Musikabende veranstalten und große Kunstliebhaber sind. Meine Brüder haben ständig mit ihnen zu tun, aber das Kulturbanausentum ist ihnen geblieben. Sie könnten keinen Monet von einem Grosz unterscheiden.“ Theatralisch warf er die Arme in die Luft. „Dabei ist es nicht so, dass ich meinerseits kein Interesse an der Welt der Industrie hätte. Aber meine Ideen waren meinen Brüdern immer zu … extravagant. Nun ja, Sie werden es ohnehin bald von irgendjemandem hören: Ich habe ein paar ungeschickte Investitionen getätigt und bin darüber mit Max aneinandergeraten. Er konnte ziemlich … nennen wir es mal: direkt sein, um nichts Schlechtes über die Toten zu sagen.“
    „Wie ich hörte, hatten Sie am Abend eine Unterredung mit ihm?“
    Friedrichs Miene verfinsterte sich. „Er meinte mal wieder, mich wie einen kleinen Jungen, der eine Fensterscheibe eingeworfen hat, zur Rede stellen zu müssen.“
    „Wann genau war das?“
    „Wann? Oh – acht Uhr, glaube ich!“
    „Worum ging es?“
    „Ich hatte einen Tipp für ein todsicheres Geschäft bekommen. Max hat mir das Geld dafür verweigert und mir wieder uralte Geschichten nachgetragen.“ Friedrich brachte ein jungenhaftes Grinsen zustande. „Er war zuerst ziemlich ungehalten, aber schließlich haben wir unseren Streit beigelegt. Einer meiner Vorschläge hat ihm imponiert, wissen Sie. Durch den Krieg herrscht überall Rohstoffmangel, und ich habe die Idee gehabt, einige unserer Produkte aus anderen Materialien als Stahl herzustellen.“
    „Woraus?“
    „Das müsste man im Einzelfall untersuchen, aber grundsätzlich ist die Idee doch genial, finden Sie nicht?“
    Der junge Unger hatte etwas Gewinnendes, wenn er seinem Enthusiasmus nachgab, sein Charme konnte jedoch die mangelnde Substanz seiner Gedanken nur verdecken, solange er nicht ins Detail ging.
    „Vermutlich haben Sie Ihren Bruder als Letzter aus der Familie lebend gesehen. In welcher Stimmung war er, als Sie ihn verließen?“
    „Aufgeräumt. Er sprach davon, mich in Zukunft stärker in Entscheidungen einzubeziehen. Er hat wohl endlich meinen Wert erkannt.“ Beifallheischend sah er Gregor an, der sich eine Erwiderung verkniff.
    „Wann war das, als
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