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Bluttaufe - Vampirlegende

Bluttaufe - Vampirlegende

Titel: Bluttaufe - Vampirlegende
Autoren: Manfred Weinland
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    Sommer 1688
    Makootemane hungerte den achten Tag auf dem Gipfel des heiligen Berges.
    Sein schlimmster Feind hatte ihm eine so geringe Menge Wasser hinterlassen, dass der junge Arapaho selbst bei sparsamstem Verbrauch höchstens noch zwei weitere Tage überstehen würde.
    Trotzdem dachte er keine Sekunde an Aufgabe. Eine solche Schande hätte er nicht überlebt – und er wollte überleben . Er wollte seinem persönlichen Schutzgeist begegnen und von ihm die Kriegerweihe empfangen.
    Für seine neun Jahre besaß Makootemane bereits eine stattliche Größe. Und einen klugen Verstand obendrein, der sich momentan allerdings zunehmend trübte. Der Wechsel von der Sonnenglut des Tages zur grimmigen Kälte nach Einbruch der Dunkelheit trieb den Arapaho ebenso unaufhaltsam in ein tiefes Delirium wie Durst und Hunger.
    Vor seinem Aufbruch zum Berg hatte der Schamane des Stammes ihn präpariert, indem er ihn speziell zubereitete Speisen essen ließ, die den anschließenden Verzicht auf Nahrung noch unerträglicher machten.
    Danach hatte ihn das Stammesmitglied, das am wenigsten für Makootemane oder dessen Familie übrig hatte, zu diesem heiligen Platz geführt, ihn mit Häme überschüttet und sich selbst überlassen. Wie es die Tradition verlangte.
    Makootemane hatte sich auf die Visionssuche begeben – wie jeder Junge an der Schwelle zum Krieger vor ihm. Sein Körper hatte sich in den letzten Wochen und Monaten verändert, und die eine oder andere sonderbare Regung hatte den jungen Arapaho sogar erschreckt. Es hatte nicht lange gedauert, bis der Stammesälteste ihn beiseite nahm.
    Makootemane hatte nicht alles Gehörte verstanden. Aber doch genug, um sich zu beruhigen: Das Kichern einiger Mädchen, wenn sie ihn neuerdings sahen, schien ebenfalls mit dem Wechsel, der in ihm stattfand, zusammenzuhängen. Und auch, dass er die Mädchen nun mit anderen Augen betrachtete als all die Zeit davor.
    Immer wieder tauchten vor seinem geistigen Auge die Gesichter von Vater, Großvater und Mutter auf. Seine Großmutter hatte er nie kennengelernt, aber sie war an vielen Feuern besungen worden, so dass auch sie ihm nicht fremd war.
    Über Makootemane spannte sich der nachtklare Himmel mit den unzähligen Augen der Ahnen, unter deren Blicken sich der Junge keineswegs unwohl fühlte. Er freute sich über ihre Gesellschaft und erreichte allmählich einen Zustand, in dem er sich von jeder Körperschwere und jedem Zweifel befreit fühlte.
    Niemand hatte ihm Genaues über die Visionssuche erzählt. Angeblich verlief sie bei jedem Kriegeranwärter anders. Und Makootemane wollte ein großer Krieger werden. Sein Traum war es, eines Tages selbst den Stamm anzuführen, wie Invnaina es jetzt tat. Invnaina war bereits alt. Ein geachteter Mann, der aber schon bald die Jagdgründe des Diesseits verlassen und im Jenseits vom Großen Geist den Lohn seiner irdischen Mühen erhalten würde.
    Makootemane empfand es keineswegs verwerflich, so über den Häuptling, der auch sein Vater war, zu denken. Der Tod war – wenn man die Kunst des rechten Sterbens beherrschte – ein Schritt ins nächsthöhere Dasein.
    In diesem Moment sagte eine Stimme: »Ich grüße dich, Wolkenknabe!«
    Makootemanes Augen und Ohren waren offen, und die Worte schienen sich wie das lähmende Gift einer Schlange jeden Muskels und jeden Nervs seines Körpers zu bemächtigen.
    Regungslos kauerte er auf dem felsigen Boden und fragte sich, ob er wachte oder träumte. Ob dies der Beginn dessen war, worauf er wartete, oder ob etwas sehr Weltliches den Weg zu ihm gefunden hatte.
    Hitanivo'iv , Wolkenmänner, nannten die befreundeten Cheyenne die Arapaho. Konnte es sein, dass auch der erscheinende Schutzgeist sich dieses Ausdrucks bediente?
    Die Stimme war aus dem Nichts gekommen – aus den Schatten dieser Nacht.
    »Wer bist du?« fragte Makootemane mit schwacher Stimme.
    »Dein Wohltäter.«
    Nein, dachte Makootemane und hatte das Gefühl, in gefrierendes Wasser getaucht zu werden, das sind nicht die Worte eines Geistes – und dies ist keine Vision!
    Er versuchte auf die Beine zu kommen. Die Heilige Lanze stak neben ihm im Boden. Aber als er sich darauf stützte, geschah das Unvorstellbare: Sie brach entzwei.
    Splitternd gab sie nach, und Makootemane stürzte so hart, dass er eine Weile völlig benommen liegen blieb.
    Seine Gedanken wirbelten wild durcheinander, und nicht nur in seinem Kopf drehte sich alles. Auch die von den Augen der Ahnen durchwobene Dunkelheit war zu einem
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