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Double Cross. Falsches Spiel

Double Cross. Falsches Spiel

Titel: Double Cross. Falsches Spiel
Autoren: Daniel Silva
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mitwirkten, ist es bemerkenswert, daß der Feind keinen blassen Schimmer hatte, was im Gange war.
    GUY HARTCUP, MULBERRYTEAM

    Im Krieg ist die Wahrheit so wichtig, daß sie stets von Lügen als Bodyguard begleitet werden muß.
    WINSTON CHURCHILL

1
    Suffolk, England: November 1938

    Beatrice Pymm starb, weil sie den letzten Bus nach Ipswich verpaßte.
    Zwanzig Minuten vor ihrem Tod stand sie an der Haltestelle und las im matten Licht der einzigen Straßenlaterne im Dorf den Fahrplan. Wenige Monate später würde die Laterne gemäß den Verdunkelungsvorschriften verlöschen. Beatrice Pymm sollte nie davon erfahren.
    Jetzt schien die Laterne gerade so hell, daß Beatrice den verblichenen Fahrplan entziffern konnte. Um besser zu sehen, stellte sie sich auf die Zehenspitzen und fuhr mit ihrem farbverschmierten Zeigefinger an den Zahlenreihen entlang. Ihre verstorbene Mutter hatte ihr wegen der Farbe immer heftige Vorhaltungen gemacht. Sie hielt es für unfein, wenn eine Frau ständig schmutzige Hände hatte, und hätte es daher begrüßt, wenn Beatrice sich einem anderen Hobby verschrieben hätte - dem Musizieren etwa oder einer karitativen Tätigkeit, selbst der Schriftstellerei, obwohl sie Schriftsteller nicht sonderlich schätzte.
    »Mist«, murmelte Beatrice, den Finger noch immer auf dem Fahrplan. Normalerweise war sie überpünktlich. Finanziell unabhängig, ohne Freunde oder Angehörige, lebte sie nach einem strengen Zeitplan, den sie selbst aufgestellt hatte. Heute war sie von ihm abgewichen. Sie hatte zu lange gemalt und zu spät den Heimweg angetreten.
    Sie nahm die Hand vom Fahrplan, faßte sich an die Wange und verzog sorgenvoll das Gesicht. »Das Gesicht deines Vaters«, hatte ihre Mutter stets resigniert gesagt. Breite flache Stirn, große aristokratische Nase, fliehendes Kinn. Und obwohl sie erst dreißig war, durchzogen graue Strähnen ihr Haar.
    Was tun? Bis zu ihrem Haus in Ipswich waren es mindestens fünf Meilen, das war zu weit, um zu Fuß zu gehen. Jetzt, am frühen Abend, waren aber auf der Straße bestimmt noch Autos unterwegs. Vielleicht fand sie jemanden, der sie mitnahm.
    Sie stieß einen langen resignierten Seufzer aus. Ihr Atem gefror, schwebte vor ihrem Gesicht, dann trug ihn der Wind, der vom Marschland herüberwehte, davon. Die Wolken rissen auf, und der Mond kam heraus. Beatrice blickte nach oben und sah, daß ihn ein eisiger Hof umgab. Zum ersten Mal wurde ihr kalt.
    Sie zitterte.
    Sie hob ihre Sachen auf - einen Lederrucksack, eine Leinwand und eine Staffelei. Sie hatte den Tag an der Flußmündung des Orwell verbracht, nicht weit von hier, und gemalt. Malen war ihre einzige Leidenschaft und die Landschaft von East Anglia ihr einziges Motiv. Die Folge war eine gewisse Eintönigkeit in ihren Bildern. Ihre Mutter mochte Bilder, auf denen Menschen dargestellt waren, Straßenszenen, überfüllte Cafes. Einmal schlug sie Beatrice sogar vor, für einige Zeit nach Frankreich zu gehen und dort weiterzumalen. Beatrice lehnte ab.
    Sie liebte das Marschland und die Deiche, die Buchten und die Broads, das Moorland nördlich von Cambridge, die hügeligen Weiden von Suffolk.
    Widerwillig machte sie sich auf den Heimweg und schlug trotz ihres schweren Gepäcks ein forsches Tempo an. Sie trug ihre Malerkluft - Hosen, die in Gummistiefeln steckten, ein Männerhemd aus Baumwolle, voller Farbkleckse wie ihre Finger, einen dicken Pullover, in dem sie sich wie ein Teddybär vorkam, und eine Matrosenjacke mit überlangen Ärmeln. Immer weiter ließ sie das spärliche Licht der Laterne hinter sich, bis die Finsternis sie ganz verschluckt hatte. Sie hatte keine Angst, bei Dunkelheit allein über Land zu gehen. Ihre Mutter, in Sorge wegen der langen Ausflüge, die sie ohne Begleitung unternahm, hatte sie unablässig vor der Gefahr einer Vergewaltigung gewarnt. Doch Beatrice hatte dies stets als unwahrscheinlich abgetan.
    Sie zitterte vor Kälte. Sie dachte an ihr Haus, ein großes Cottage am Rand von Ipswich, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Hinter dem Cottage hatte sie sich ein lichtdurchflutetes Atelier gebaut. Dort verbrachte sie die meiste Zeit, und es war nicht ungewöhnlich, daß sie tagelang mit keinem Menschen sprach.
    Dies alles und mehr wußte ihr Mörder.
    Sie war fünf Minuten gegangen, da hörte sie hinter sich das Brummen eines Autos. Ein Laster oder ein Lieferwagen, dachte sie. Und ein alter dazu, nach dem Rasseln des Motors zu urteilen.
    Beatrice sah den Scheinwerferkegel wie Strahlen
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