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Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf
Autoren: Banana Yoshimoto
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lächeln.
    »Ja, aber ich war gerade dabei aufzustehen.«
    »Wer’s glaubt, wird selig! Apropos: Was hältst du davon, wenn wir heute abend zusammen was spachteln gehen?«
    »Gute Idee!«
    »Tja, dann bis nachher, da, wo wir uns immer treffen, um halb acht, ja?«
    »Okay.«
    Ich lege auf; das Zimmer ist nach wie vor lichtüberflutet und still. Alles wirft dunkle, klar umrissene Schatten auf den Boden: ausgeschnittene Zeit. Ich schaue mir das eine Weile an, bekomme aber zu nichts Lust und gehe einfach wieder ins Bett. Vorm Einschlafen denke ich noch ein bißchen über Shiori nach.
    Der Mann da vorhin – der Mann, den Shiori zuletzt geliebt hatte – hat mich gefragt, ob sie sich »wegen der Arbeit« umgebracht hätte. Geantwortet habe ich, ich wüßte es nicht, aber gedacht habe ich im Grunde meines Herzens, daß das wohl doch die richtige Erklärung war.
    Shiori war wie besessen von ihrer Arbeit, sie war verrückt danach. Wegen der Arbeit ist sie damals auch bei mir ausgezogen. Und in gewissem Sinn handelte es sich sicher auch um eine Tätigkeit, die nur sie allein beherrschte, die man vielleicht als ihre Berufung hätte bezeichnen können. Beschäftigt war sie bei einer Art Geheimclub, nein, bei einer Organisation für eine recht merkwürdige Form von Prostitution; wie sie sagte, war sie dort durch einen Gast eingeführt worden, der sie in der Bar abwarb, wo sie auf Vermittlung eines Freundes gejobbt hatte. Was sie zu tun hatte, war »Bei-Schlaf« im wörtlichen Sinne, das heißt, der Kunde durfte lediglich neben ihr schlafen. Ich war völlig geplättet, als ich das erste Mal davon hörte.
    Von ihrem Arbeitgeber und Patron hatte sie eine eigene Wohnung zugewiesen bekommen; ihr Arbeitszimmer befand sich im selben Haus, nur ein Stockwerk tiefer, und dort stand das bereits erwähnte riesige Doppelbett, in dem man so wunderbar schlafen konnte. Ich hab es selbst nur ein einziges Mal gesehen. Der Raum sah weniger nach Hotelzimmer aus, sondern wirkte eher wie irgendwo im Ausland. Es war ein richtiges Schlaf- Zimmer , so wie ich es zuvor nur im Kino gesehen hatte. Und dort teilte Shiori mehrere Male in der Woche mit einem ihrer Kunden das Bett bis zum Morgen.
    »Waaas?! Kein Geschlechtsverkehr?« fragte ich. Shiori hatte sich immer mehr verstrickt in ihre Arbeit, und es war der Abend, an dem sie mir schließlich eröffnete, daß sie aus meiner Wohnung ausziehen und in das Haus einziehen würde, wo auch ihr Arbeitszimmer war.
    »Quatsch, natürlich nicht! Leute, die das wollen, gehen in andere Etablissements!« sagte Shiori bloß dazu und lächelte ihr rundes Lächeln.
    »Was es nicht alles gibt auf dem Arbeitsmarkt! Scheint wirklich nur eine Sache von Angebot und Nachfrage zu sein.« Ich konnte nicht verhindern, daß sie auszog. Außerdem hatte ich begriffen, daß Shiori, aus welchem Grund auch immer, diesem wunderlichen Job längst verfallen war.
    »Du wirst mir fehlen«, sagte ich.
    Sie antwortete: »Ach, ich bekomme doch auch noch ein ganz normales Apartment zum Wohnen, komm mich einfach besuchen!« Sie hatte nicht mal angefangen zu packen – ich konnte einfach nicht begreifen, daß sie weggehen würde, so sehr gehörte sie in meine Wohnung.
    Es war schon spät in der Nacht; wir saßen wie immer auf dem Boden und sahen uns eigentlich Musikvideos an, das heißt, wir quatschten und gaben zwischendurch Kommentare ab wie: »Das Stück ist gut« oder »Die Typen sehen aber beschissen aus«. Wenn ich mit Shiori zusammen war, kam mir die Zeit schon immer seltsam verzerrt vor. Weil die schmalen Augen in ihrem Gesicht mit den überaus liebevollen Zügen immer dunkel verschleiert waren wie blaue Monde.
    Sie schlief in einem Futon auf dem Boden neben meinem Bett, und beim Verdunkeln des Zimmers sah ich ihre schneeweißen Arme im Mondlicht glänzen. Bei unseren Gesprächen im Dunkeln kannten wir absolut keine Grenzen, und ich glaube, wir haben unheimlich oft so gequatscht wie in jener Nacht. Aber damals erzählte Shiori besonders viel von ihrer Arbeit. Ich lag in der Dunkelheit und hörte ihrem Redefluß zu, ihr zartes Stimmchen klang wie eine kleine Nachtmusik.
    »Also, ich darf die ganze Nacht kein Auge zutun. Stell dir mal vor, der Typ neben mir würde mitten in der Nacht aufwachen, und ich würde pennen wie ein Murmeltier – dann wäre meine Arbeit ja überhaupt nichts wert, hm, wie soll ich sagen? Das wäre einfach nicht professionell, verstehst du? Weil … sie dürfen nie das Gefühl bekommen, alleine zu sein. Meine
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