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Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf
Autoren: Banana Yoshimoto
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Dornröschenschlaf
    Wann hat das bloß angefangen, daß ich immer so viel schlafe, wenn ich alleine bin?
    Der Schlaf überschwemmt mich wie die Flut den Meeresstrand: zu spät – Widerstand zwecklos. Dieser Schlaf ist so unendlich tief, daß weder das Klingeln des Telefons noch der Straßenlärm von draußen an mein Ohr dringen. Dort, in dieser anderen Welt, ist nichts, was mich bedrücken könnte, keine Trauer, keine Einsamkeit, nichts als tiefer, tiefer Schlaf.
    Nur der Augenblick des Aufwachens fühlt sich ein wenig verlassen an. Ein Blick in den leicht bewölkten Himmel sagt mir, daß geraume Zeit vergangen sein muß, seit ich eingeschlafen bin. Ich wollte doch gar nicht schlafen, und jetzt hab ich wieder den ganzen Tag verpennt …, denke ich benommen. Die Reue lastet bleischwer wie eine schmachvolle Niederlage auf mir, und plötzlich läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken.
    Wann habe ich bloß angefangen, mich mit Haut und Haar dem Schlaf zu überlassen? Wann habe ich jeden Widerstand aufgegeben …? Wie lange liegt die Zeit zurück, in der ich putzmunter, quicklebendig und immer hellwach war? So unwahrscheinlich weit liegt das zurück – es muß in grauer Vorzeit gewesen sein. Erinnern kann ich mich daran nur noch in nebulösen Bildern, wie aus tiefster Vergangenheit, auf denen Farne und Dinosaurier mir wild und grell ins Auge blitzen.
     
    Einzig und allein den Anruf meines Liebsten erkenne ich auch im Schlaf.
    Das Klingeln des Telefons hört sich deutlich anders an, wenn Iwanaga anruft. Keine Ahnung, wieso, aber ich kann das nun mal genau unterscheiden. Im Gegensatz zu allen anderen Geräuschen, denen man anhört, daß sie von außen kommen, klingt sein Telefonläuten mir angenehm im Kopf drinnen, als hätte ich Kopfhörer auf. Und wenn ich dann aufstehe und den Hörer abnehme, nennt er mit dieser unheimlich tiefen Stimme, bei der einem heiß und kalt wird, meinen Namen.
    »Terako?«
    Ich sage: »Ja«, worauf er ein wenig über meine ausnehmend hohl klingende Stimme lacht, und dann kommt jedesmal dieselbe Frage:
    »Madame haben wohl wieder geruht?«
    Ich liebe es so sehr, wenn er, der mir gegenüber sonst absolut keine Höflichkeitsfloskeln benutzt, plötzlich so mit mir redet, daß es mir beim Klang dieser Worte immer vorkommt, als bräche die Welt über mir zusammen. Mir wird schwarz vor den Augen, als würden die Rolläden heruntergelassen. Ich horche dem Nachhall seiner Worte noch ewig lange hinterher.
    Wenn ich dann wieder zu mir gekommen bin, sage ich schließlich: »Ja, ich hab geschlafen.«
    Das letztemal rief er an einem verregneten Abend an. Es goß in Strömen, und unter der Glocke aus prasselndem Regen und bleischwerer Himmelsfarbe, die über der Stadt lag, bekam das Telefon als einzige Verbindung zur Außenwelt plötzlich eine ungeheure Bedeutung für mich.
    Sobald seine Stimme anfängt, mir Uhrzeit und Treffpunkt für unsere Verabredung mitzuteilen, überkommt mich Unmut. Statt dessen sollte er lieber noch mal mein geliebtes »Madame haben wohl wieder geruht?« zum besten geben! Während ich den Fan markiere, der mit den Füßen auf den Boden stampft und: »Zu-ga-be! Zu-ga-be!« brüllt, greife ich zu Papier und Bleistift. Okay, um soundsoviel Uhr, ja, an demunddem Ort, alles klar.
    Wenn mir jemand garantieren könnte, daß das, was zwischen uns beiden gerade abläuft, die wahre Liebe ist, dann würde ich demjenigen wahrscheinlich vor lauter Erleichterung die Füße küssen. Falls es aber irgendwann aus und vorbei sein wird, dann will ich auch bitte schön sein Telefonklingeln nicht mehr erkennen können, denn dann möchte ich auf der Stelle einschlafen und nie mehr aufwachen. Ich wünsche dann unverzüglich, in Ruhe gelassen zu werden.
    Erschöpft und müde vor lauter Ungewißheit sehe ich unserem zweiten gemeinsamen Sommer entgegen, anderthalb Jahre nachdem wir uns kennengelernt haben.
     
    »Meine Freundin ist gestorben.«
    Seit fast zwei Monaten drücke ich mich nun schon davor, diesen Satz auszusprechen. Obwohl ich sicher bin, daß er mir ganz ernst zuhören würde, wenn ich es täte, habe ich es ihm immer noch nicht sagen können – ich weiß selbst nicht, warum.
    Jede Nacht zerbreche ich mir den Kopf: Soll ich es sagen? Soll ich damit anfangen, jetzt sofort?
    Ich gehe neben ihm her und suche nach Worten.
    Meine Freundin ist gestorben. Du hast sie nie kennengelernt. Sie war meine beste Freundin, Shiori hieß sie. Nach der Uni ist sie in einen total verrückten Job
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