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Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf
Autoren: Banana Yoshimoto
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Kunden – es kommen natürlich nur Leute auf Empfehlung – stammen allesamt aus geordneten Verhältnissen. Alle sind sie auf höchst subtile Weise verletzt worden und total erschöpft, am Ende ihrer Kräfte. So sehr, daß nicht mal sie selbst mehr merken, wie unendlich erschöpft sie sind. Deshalb – und man kann sich wirklich darauf verlassen – wachen sie nachts plötzlich auf. In so einem Fall ist es wichtig, daß ich ihnen bei gedämpftem Licht mein strahlendstes Lächeln schenke. Dann reiche ich ihnen ein Glas Eiswasser. Einige wollen auch einen Kaffee oder so, dafür gehe ich dann extra in die Küche, um ihn frisch aufzubrühen. Damit kann man die meisten beruhigen, so daß sie bald wieder tief und fest schlafen; so sind die Menschen halt. Ich glaube, sie brauchen alle bloß jemanden, der einfach nur neben ihnen schläft. Es sind auch Frauen darunter, und sogar Ausländer. Trotzdem, da ich halt auch nur ein Mensch bin, kommt es schon mal vor, daß ich doch einschlafe … – Ja, genau, und ob man’s glaubt oder nicht, wenn man neben so einem total erschöpften Menschen schläft, wenn sich also das eigene Atmen allmählich an den gleichmäßigen Rhythmus des anderen anpaßt, dann atmet man wahrscheinlich die Finsternis seiner Seele mit ein. Du darfst nicht einschlafen, nur nicht einschlafen! sage ich mir die ganze Zeit, und dann habe ich oft im Halbschlaf diese furchtbaren Alpträume. Ganz surrealistisch: Ich sitze auf einem sinkenden Schiff fest; ich verliere alle Münzen, die ich gesammelt habe; die Dunkelheit kommt zum Fenster hereingekrochen; jemand schnürt mir die Kehle zu … Ich schrecke hoch, mein Herz klopft wie verrückt. Ich habe undefinierbare Angst. Ich schaue auf den Menschen, der neben mir schläft, und denke, ich habe gerade in seine Seele gesehen, und dieser Anblick war so schlimm, so einsam, so brutal … Ach, mir wird angst und bange, wenn ich nur daran denke!«
    Im Mondschein lag Shiori da und starrte an die Decke. Matt glänzte das Weiße in ihren Augen, und ich dachte: Und wenn es in Shioris Seele genauso aussähe … Aber irgend etwas hielt mich davor zurück, dies laut zu sagen. Ich war jedoch überzeugt, daß ich mit meiner Vermutung recht hatte. Zum Heulen fest überzeugt.
    Mittlerweile ist es bereits Hochsommer. Jedesmal, wenn ich ihn in dem Laden, wo wir uns immer verabreden, in einem kurzärmligen Hemd zur Tür hereinkommen sehe, schrecke ich zusammen – es kommt mir irgendwie unpassend vor. Ich erwarte ihn nun mal in Mantel und Pullover, wahrscheinlich, weil es Winter war, als wir uns kennengelernt haben. Wenn wir zusammen sind, habe ich immer das Gefühl, durch eisigen Nordwind zu marschieren. Ich glaub, ich hab sie nicht mehr alle. Die Klimaanlage in dem Laden hier läuft auf Hochtouren, draußen herrscht eine stickig heiße Tropennacht, aber all das ändert nichts an dem Klima in meinem Herzen.
    »Gehen wir?« sagt er und sieht mich, die ich ihm nur teilnahmslos mit dem Blick gefolgt bin, bis er direkt vor mir steht, verwundert an. Ich sehe auf, schaue aber noch eine ganze Weile verständnislos in seine Äugen, bevor ich »Ja …? -Ja« sagen kann und aufstehe. Im Moment der Begegnung bin ich jedesmal irgendwie verwirrt.
    »Na, wie war dein Tag?« fragt er wie immer nebenbei.
    »Ach, ich war bloß zu Hause und … ah ja, mittags hab ich kurz einen alten Freund getroffen.«
    »Einen Freund? Das wird doch wohl kein date gewesen sein, was?« fragt er mit einem Grinsen.
    Ich grinse zurück und sage: »Quatsch, es war ein junger Freund!«
    »Noch schlimmer!« mault er.
    Daß er sich den Altersunterschied zwischen uns von gerade mal sechs Jahren dermaßen zu Herzen nimmt, mag daran liegen, daß ich ungewöhnlich jung aussehe. Wenn ich ungeschminkt das Haus verlasse, kann es mir ab und zu noch passieren, daß man mich für eine Oberschülerin hält. Scheint so, als wäre ich nicht älter geworden, seit ich mit der Uni fertig bin. Liegt wahrscheinlich an meinem Lebensstil.
    »Können wir es uns heute gemütlich machen?« frage ich ihn, worauf er mir traurig in die Augen sieht und bedauernd antwortet:
    »Tja, leider muß ich noch zu Verwandten. Deshalb können wir jetzt nur was zusammen futtern gehen.«
    »Verwandte? Deine?«
    »Nein, ihre.«
    In letzter Zeit versucht er nicht mal, es zu verbergen. Wahrscheinlich, weil ich einen zu guten Instinkt habe und es sowieso rauskriegen würde. Er ist nämlich verheiratet.
    Aber seine Frau ist nicht mehr bei Bewußtsein, sie liegt im
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