Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf
Autoren: Banana Yoshimoto
Vom Netzwerk:
dahin für ihn gehabt hatte, in wahre Liebe um.
     
    Beim Essen bin dann ich diejenige, die die Zeit im Auge behält.
    »Mußt du nicht allmählich gehen?« frage ich nun bestimmt schon zum dritten Mal. Ich finde es merkwürdig, nach acht Uhr abends noch bei Verwandten anzutanzen.
    »Wenn ich dir doch sage, es ist okay, dann ist es auch okay!« meint er. Dann lacht er und schiebt das Drehtablett in der Mitte des chinesischen Eßtischs unnötig schwungvoll an, so daß es wild zu rotieren beginnt.
    »Komm schon, iß, anstatt dir so viele Sorgen zu machen!«
    »Ich kann ja nicht essen, wenn das Ding sich so schnell dreht!«
    Beim Anblick der Teller, die vor meinen Augen im Kreis herumwirbeln, als säßen sie auf einem Karussell, muß ich kichern. Ein paar Tische weiter verzieht der Kellner mißbilligend das Gesicht.
    »Es ist okay, wirklich. Ich fahr mit dem Auto und übernachte dort. Hab schon angekündigt, daß es wegen der Arbeit später werden würde. Sie sind schwer in Ordnung, ehrlich.«
    »Das ist das Tolle an der Ehe, finde ich: Plötzlich kann man mit netten Leuten verwandt sein, die bisher noch Fremde waren!«
    »Das meinst du doch wohl ironisch, oder?« fragt er verunsichert.
    »Nö, überhaupt nicht, ist mein voller Ernst.« Ich habe das wirklich nicht ironisch gemeint. Das Ganze liegt mir nur so dermaßen fern, daß ich den Punkt nicht finden kann, an dem es mich tangiert.
    »Deine Frau … war sie auch ein netter Mensch?« frage ich. Die Wahrscheinlichkeit, daß sie ihr Bewußtsein jemals wiedererlangen könnte, dürfte mittlerweile gegen Null tendieren. Alles weitere sei Gefühlssache, Dinge, über die man eingehend miteinander sprechen müsse, sagt er.
    »Ja, sie war ein netter Mensch. Gut erzogen, pfiffig, rührselig. Außerdem hektisch und eine beschissene Autofahrerin, deshalb hat sie auch den Unfall gebaut. Reicht das? Weißt du jetzt genug über meine Frau?«
    »Ja, ja – schon gut!« sage ich. Er haßt dieses Thema regelrecht, und zwar immer – trotz meiner Beteuerungen, daß es mir wirklich nichts ausmache. Ich trinke süßen Likör, der nach Aprikosen schmeckt. Obwohl ich beschwipst bin, werde ich kein bißchen müde, nur seine Gestalt auf der anderen Tischseite tritt mehr und mehr hervor, setzt sich messerscharf ab. Ich kann ihn gut verstehen. Keiner von uns ist aus Holz geschnitzt. Er hat Eltern, und sie hat ebenfalls Eltern, die wahrscheinlich zutiefst verzweifelt sind vor Trauer. Außerdem gibt es sicher eine ganze Menge praktischer Schwierigkeiten, die aus der plötzlichen Verwicklung in dieses Unglück resultieren, Entscheidungen, die getroffen werden wollen – über das Krankenhaus, die Pflege, die Kosten, über Scheidung, den Behördenkram, den Tod, und und und …
    Manchmal, da möchte ich ihm einfach kurz entschlossen sagen, daß ich all das weiß. Aussprechen möchte ich das. Wenn ich es sage, das weiß ich genau, dann wird er geschockt sein und über so einiges ins Grübeln kommen.
     
    Hör mal, du denkst doch bestimmt, daß du dich in all diesen Dingen hundertprozentig korrekt verhalten willst. Bis zum bitteren Ende willst du all diesen Leuten eine verläßliche Stütze sein – ohne Unterlaß, unverdrossen, nicht? Aber in Wirklichkeit geht es dir gar nicht um die anderen. Dir selbst könntest du sonst nicht verzeihen. Ja, du bist ein edler Ritter, du wirst diese Rolle, von der du glaubst, sie stünde dir gut zu Gesicht, auf jeden Fall durchziehen, zumal sich die Liebe zu deiner Frau so wunderbar damit kaschieren läßt. Außerdem weißt du auch genau Bescheid über mich, kennst meine Gutmütigkeit und meine Verzweiflung. Du weißt, daß ich dich natürlich beobachte in deiner edlen Rolle und daß ich einerseits denke, es geht mich alles nichts an, daß ich aber andererseits sowieso nicht glauben kann, es ginge mich tatsächlich nichts an. In Wahrheit bist du nämlich ein schrecklich kalter Mensch. Aber trotzdem, ich mag das, sehr sogar, das weißt du doch! Ich liebe dich und deine Art, so sehr, daß ich es kaum aushalten kann … Tja, das heißt wahrscheinlich, daß ich mich jetzt selbst hineinmanövriert habe in die Sache, ich steck schon längst mittendrin, mit Haut und Haaren!
    Immer, wirklich jedesmal, wenn meine Gedanken diesen Punkt erreicht haben, schwindet mir der Mut, sie auszusprechen. Deshalb verharren wir schon so lange mucksmäuschenstill in diesem immergleichen Zustand, ohne daß je die Fetzen fliegen. Er und die Verwandten sind füreinander da und beraten Tag und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher