Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf
Autoren: Banana Yoshimoto
Vom Netzwerk:
klar. Ich war nicht mal mehr traurig über irgendwas – ich hatte nichts zu erzählen.
    Shiori fragte immer wieder: »Ist irgendwas passiert?«, und ich antwortete jedesmal: »Nee, nichts.« Ihre Art, diese Frage zu stellen, war so zielstrebig wie ein treuer Hund, der seinem Herrchen hinterherläuft, und meine Antwort kam mir schon im Moment des Aussprechens bleischwer vor.
    »Es ist wirklich nichts. Aber was anderes: Machst du eigentlich gar keine Musik mehr an in letzter Zeit, oder den Fernseher?«
    In jener Nacht herrschte wirklich absolute Stille in Shioris Wohnung. Mit Ausnahme unserer beiden Stimmen waren sämtliche Geräusche wie ausgelöscht. Ich kam mir vor, als säße ich mitten in der Nacht in einem eingeschneiten Iglu. Und Shioris dünnes, zartes Stimmchen brachte diese Stille noch besser zur Geltung.
    »Nö – wieso? Stört dich die Ruhe?« antwortete sie.
    »Quatsch, ich komm dich doch nicht besuchen, um mich dann über deine Wohnung zu beschweren!« sagte ich. »Es ist nur … Irgendwie hab ich das Gefühl, es stimmt was nicht mit meinen Ohren.«
    »In letzter Zeit hören sich alle Geräusche so schrecklich laut an, weißt du«, sagte Shiori mit leerem Blick. »Aber, sag mal, ist da nicht eher was mit Herrn Iwanaga, das dich bedrückt? Habt ihr euch in die Haare gekriegt wegen seiner Frau? Wir haben schließlich zusammen gewohnt, ich weiß doch, daß es dir nicht sonderlich gut geht.«
    »Nö, eigentlich ist alles wie immer. Wirklich, es ist gar nichts, nur … ich bin es nur leid zu …«
    Ich war selbst erschrocken über das, was ich sagen wollte. Ich stand im Begriff, etwas ganz Furchtbares zu sagen.
    Ich bin es nur leid zu warten.
    »Zu was?«
    »Zu streiten, ich bin es nur leid zu streiten. Ich hab ihm ein paar vollkommen haltlose Sachen aufgetischt, und da haben wir uns ein bißchen gestritten, mehr nicht. Es ist alles wie immer. Er redet nach wie vor schrecklich ungern über seine Frau, aber wie’s aussieht, kümmert er sich wohl viel um seine Verwandten, was ihm an die Nieren geht. Außerdem scheint er ziemlich oft im Krankenhaus zu sein. Aber sonst ist alles bestens, wirklich.«
    »Aha – na hoffentlich!« sagte Shiori und lächelte. »Ich möchte nämlich, daß ihr euch immer vertragt und zusammenbleibt. Ich bin schließlich so was wie die Patentante eurer Liebe!«
    »Keine Sorge, alles in Ordnung. Wir machen schon nicht Schluß miteinander«, versicherte ich. Noch während ich das sagte, löste sich meine Stimmung komischerweise in Großmut auf, und ich wurde tatsächlich zuversichtlich. Worüber wir danach noch geredet haben, weiß ich nicht mehr so genau. Es kann nur unwichtiges, albernes Zeug gewesen sein. Gerede über die alten Zeiten, als wir zusammen gewohnt haben, lustige Stories von der Arbeit, Gequatsche über Kosmetik und Fernsehsendungen – all so was eben … Hinter meinem Kopf baumelte die ganze Zeit die Hängematte in der Luft herum. Shioris weißes Hemd, der rote Kessel, in dem das Wasser kochte, der Dampf des heißen grünen Tees, den wir tranken – ich kann mich beim besten Willen an nichts anderes als an diese Nebensächlichkeiten erinnern.
    »Tja, dann will ich mal wieder gehen.« Ich stand auf.
    »Wir wär’s, wenn du hier übernachtest?« fragte Shiori.
    Ich zögerte, aber die Vorstellung, daß Shiori in der Hängematte schlief, während ich als Gast ihr Bett okkupierte, war mir doch irgendwie unangenehm, und so entschloß ich mich, nach Hause zu gehen.
    Als Shiori mich im Eingang fragte: »Na, geht’s dir jetzt besser?« streckte ich zum ersten Mal die Waffen und sagte kleinlaut: »Ja wirklich, irgendwie.«
    Shiori sah mich mit ihren schmalen Augen an und frotzelte: »Kleiner ›Bei-Schlaf‹ gefällig, extra für dich …?«
    »Nein, danke!« sagte ich lachend und ging.
    Als ich die Tür hinter mir zugezogen und zwei, drei Schritte in Richtung Fahrstuhl getan hatte, verspürte ich plötzlich einen überwältigenden Drang umzukehren. Ich wollte unbedingt noch einmal in Shioris Gesicht sehen – aber als ich mich umschaute, wurde mir klar: Shiori war längst auf der anderen Seite der eisernen Tür, zurückgekehrt in ihre Zeitrechnung, und es war ja auch nicht so, daß ich ihr noch irgend etwas hätte sagen wollen – also stieg ich letzten Endes einfach in den Lift …
    Als ich schließlich müde werde vom Laufen, bin ich unendlich weit von meiner Wohnung entfernt und muß ein Taxi nehmen. Endlich zu Hause, umhüllt mich auf der Stelle pechschwarze Dunkelheit,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher