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Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf
Autoren: Banana Yoshimoto
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Morgengrauen, als Mizuo und ich Tanakas Laden verlassen. Während wir die Straße entlanggehen, frage ich ihn:
    »Sag mal, wie lange war ich denn nun eigentlich ohne Bewußtsein?«
    »Fast zwei Stunden! Ich habe gewartet und getrunken, und jetzt bin ich völlig besoffen!«
    Mizuos Stimme hallt laut durch die menschenleere Gasse.
    »Ehrlich? So lange?«
    Ich bin etwas überrascht, denn das Treffen mit Haru war mir nur ganz kurz vorgekommen. Trotzdem, ich fühle mich erfrischt. Das Leuchten der Sterne und des Mondes erscheint mir hell und klar wie seit Jahren nicht mehr, fast, als hätte jemand den Himmel geputzt. Das bloße Gehen macht mir Spaß, und ich werde automatisch schneller. Haru, das Lied der Engel, der Zwerg als Medium, Haru …
    »Es ist doch gut, wenn man mit seinen Gefühlen im reinen ist«, sagt Mizuo plötzlich und legt seinen Arm um meine Schultern. »Denk jetzt einfach nicht mehr darüber nach!«
    Wortlos nicke ich.
    War es wirklich Zufall, daß ich jeden Abend so viel getrunken habe?
    War Haru dabei tatsächlich jedesmal in meiner Nähe?
    Und dieses wunderschöne Lied? Hatte mich da etwa Haru gerufen?
    Und vorhin, wo war ich da?
    Was war der Zwerg wohl nur für ein Wesen? Warum konnte er so etwas?
    War das wirklich gerade die tote Haru?
    Oder habe ich mir das alles nur selbst vorgegaukelt?
    Haru ist einfach verschwunden, und ich bin hier zurückgeblieben.
    Über all diese Fragen weht ein angenehmer nächtlicher Wind. Er reißt meine Gedanken mit sich fort.
    »Irgendwie habe ich das Gefühl, als würde ich ab morgen weniger trinken. Das klingt jetzt vielleicht abgedroschen«, sage ich, »aber was soll’s. Ich bin jedenfalls fest davon überzeugt!«
    »Alles hat seine Zeit, und jetzt scheint die Zeit dafür gekommen zu sein, bestimmt!«
    Mizuo lacht.
    Für Mizuo scheint alles nur eine Frage des rechten »Zeitpunkts« zu sein. Auch, daß wir uns kennen und daß wir zusammen sind – alles nur timing?
    Vermutlich ist er nur deshalb so übertrieben nett und freundlich, weil er einfach viel zu kaltherzig ist.
    Ich weiß nicht, was die Zukunft bringen wird, aber womöglich kristallisiere ich zu Eis, wenn ich ihn noch mehr liebe als jetzt?
    Wie wird es uns beiden wohl in dem vor uns liegenden, neuen Leben ergehen?
    Aber – ich habe das Gefühl, daß Mizuos Lachen mein Herz genauso unmittelbar berührt wie diese kühle, schöne Nacht. Es stört mich nicht im geringsten, daß alles vergeht, auch die Ereignisse dieser Nacht, die ich mit ihm verbracht habe. Genau deshalb scheint sie wie ein Juwel in meiner Hand zu funkeln. Wie damals an jenem Tag mit Haru.
    Auf einmal wird mir klar, daß, egal was auch passiert, ich wohl nie wieder dieses schöne Lied hören werde, von dem ich jedesmal eine Gänsehaut bekommen habe. Schon der Gedanke stimmt mich unsäglich traurig.
    Diese Geborgenheit, diese Wärme, diese unsagbare Traurigkeit, diese wohltuende Freundlichkeit. Jedesmal, wenn ich demnächst das schimmernde Grün der Bäume im Garten betrachte, werde ich denken: War das schööön! In meiner Erinnerung wird undeutlich ein Fetzen jener sanften Melodie aufflackern, und ich werde versuchen, ihr nachzuspüren, wie man einem schönen Duft hinterherschnuppert.
    Dann werde ich mich immer weniger daran erinnern, und schon bald werde ich alles vergessen haben.
    Das ALLES wird mir klar, während ich, Mizuos Arm um meinen Schultern, die Straße entlangschlendere.

Nachwort
    Alle drei Geschichten in diesem Buch handeln von der »Nacht«, von der Nacht derjenigen, die gerade in jener blockierten, verschlossenen Phase stecken, in der die Zeit stillsteht. Die drei sind also sozusagen Geschwister – in gewissem Sinne könnte man sie vielleicht sogar als eine einzige große Erzählung ansehen.
    Außerdem beruhen sie schließlich alle mehr oder weniger auf eigenen Erfahrungen. Meinen Erfahrungen mit gegrilltem Aal, Feuerwerk, Schlafsucht, Alkohol, meinen Begegnungen mit anderen Menschen … Das alles und noch viel mehr, was ich in letzter Zeit erlebt habe, hat mich bewegt – und daraus sind dann, verwandelt natürlich, diese Geschichten entstanden.
    Mittlerweile streife ich schon wieder rastlos umher, Tag und Nacht auf der Suche nach neuen Erfahrungen des Herzens.
    Ich möchte allen Menschen von Herzen danken, die mir in diesen harten Tagen des rastlosen Umherstreifens zur Seite gestanden haben, die mir geholfen haben, indem sie die Geschichten gelesen und mir ihre Eindrücke vermittelt haben.
    Ich bin schon froh, wenn Sie sich
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