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Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf
Autoren: Banana Yoshimoto
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mein Herz pocht.
    Ich ziehe die Steppdecke hoch und lasse meinen Kopf tief ins Kissen sinken – und schon kann ich sie wieder hören, die Stimme.
    Ihr reiner, engelsgleicher Klang, die sanfte Melancholie und die ergreifende Melodie lassen mein Herz höher schlagen. Sie klingt mal nah, mal fern, wie das Rauschen der Wellen, und fließt wehmütig dahin … Haru, willst du mir etwas sagen?
    Um zu erlauschen, was sie mir erzählen will, spitze ich mit aller Kraft die Ohren meines Herzens, die sich zwar taub stellen, aber dennoch wie wild rotieren – nichts, nicht das leiseste Zeichen von Haru. Nur diese wunderschöne Melodie bohrt sich weiter in mein Herz. Hinter ihren wundervollen Klängen liegt womöglich Harus Lachen. Oder schreit sie etwa mit haßerfüllter und zeternder Stimme, ihr Glück und mein Tod wären nur zwei Seiten derselben Medaille? – Egal, was dahintersteckt, ich will es hören, unbedingt.
    Ich will wissen, was Haru mir mitzuteilen hat. Meine Stirn beginnt zu schmerzen, so sehr konzentriere ich mich darauf, doch am Ende macht sich nur meine Müdigkeit hinter den Klängen bemerkbar und überspült mich mit Wogen des Schlafes. Wie ein Gute-Nacht-Gebet murmele ich noch ein paar entschuldigende Worte vor mich hin: »Haru, ich weiß, es ist blöd. Aber ich kann dich einfach nicht hören! Tut mir leid. Schlaf gut!«
     
    »Du hattest recht, Haru ist tot!« sage ich. Mizuo ist nicht besonders überrascht.
    »Aha, dann ist es also wahr?« sagt er nur und sieht wieder zum Fenster hinaus.
    Der Blick auf die Nacht ist wirklich umwerfend.
    Wir sind hier zwar nur in der dreizehnten Etage, aber die Aussicht ist einfach großartig! Ich hatte ihm vorgeschlagen: Laß uns doch mal wieder auswärts essen gehen – aber so richtig, auf gehobenem Niveau. Daraufhin hatte Mizuo mich gefragt: Was meinst du mit »gehobenem Niveau«? Soll’s teuer sein oder etwa hoch über der Erde? Beides, hatte ich lachend geantwortet, und so sind wir hier gelandet.
    Draußen vor dem Fenster glitzern die Facetten der Nacht – ich bin hin und weg. Wie ein funkelndes Geschmeide legen sich die langen Autoschlangen um die Dunkelheit.
    »Mizuo, wieso glaubst du eigentlich, daß es Haru ist?« frage ich ihn.
    »Weil ihr euch gut verstanden habt«, sagt Mizuo unbekümmert, schneidet sich ein Stück Fleisch ab und führt es zum Mund. Meine Hand bleibt für einen kurzen Moment in der Bewegung stecken. Mir ist nämlich zum Heulen.
    »Meinst du, Haru will mir was sagen?«
    »Weiß ich doch nicht!«
    »Stimmt, woher auch.«
    Und so wende ich mich wieder dem Essen zu. Wahrscheinlich ist alles nur halb so schlimm. Haru verkörpert vielleicht einfach nur meine »Reue« über verpaßte Chancen, die sich mir immer dann schmerzlich aufdrängt, wenn ich versuche, aus meinem vom Alkohol getrübten Alltag auszubrechen. Auch heute abend habe ich schon wieder (allerdings zusammen mit Mizuo) zwei Flaschen Wein geleert, und die Welt vor meinen Augen beginnt zu verschwimmen.
    Morgen früh werde ich vollkommen down sein und wieder bei Null anfangen müssen, aber bis dahin werde ich dieses wundervolle Gefühl genießen, das sich in das nächtliche Lichtermeer ergießt und von dort ins Unendliche reflektiert wird. Meine unabänderliche Reue, die ja sowieso jeder mit sich herumschleppt, erscheint mir in Anbetracht dieses Gefühls wie schmückendes Beiwerk des Lebens, das mich nicht weiter kümmern muß.
    »Was hältst du davon, wenn wir jetzt gleich versuchen, Haru zu treffen?« sagt Mizuo plötzlich.
    »Was erzählst du denn da?« frage ich in einem etwas merkwürdigen Tonfall, der mich selbst genauso verwundert wie die Gäste im Restaurant, die kurz zu mir herübersehen.
    »Ich habe einen Bekannten, der so was arrangieren kann«, sagt Mizuo grinsend.
    »Seeehr verdächtig.« Auch ich muß grinsen.
    »Überhaupt nicht, ziemlich interessant sogar. Weißt du, der Typ ist ein Zwerg. Es ist schon länger her, als ich noch in einer anderen, weitaus ungemütlicheren Branche zu tun hatte. Damals habe ich ihn kennengelernt. Er kann dich mit einem Toten sprechen lassen. Es ist so ähnlich wie Hypnose, aber ganz realistisch!« sagt Mizuo.
    »Und? Hast du das schon mal gemacht?« frage ich.
    »Ja, ich habe mal jemanden unabsichtlich getötet!«
    Mizuo sagt das, ohne auch nur einmal zu stocken, deshalb ist mir sofort klar, wie sehr ihn der Vorfall mitnimmt.
    »Hattet ihr Streit oder so?«
    »Nein, ich hatte ihm ein kaputtes Auto geliehen.«
    Mehr scheint er darüber nicht
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