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Unterm Kirschbaum

Unterm Kirschbaum

Titel: Unterm Kirschbaum
Autoren: Horst Bosetzky
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1.
    Geelhaar und Schulze Woytasch, schon von Amts wegen auf beßre Nerven gestellt, hatten inzwischen ihren Abstieg bewerkstelligt, während Kunicke, mit einem Licht in der Hand, von oben her in den Keller hineinleuchtete. Da es nicht viele Stufen waren, so konnt’ er das Nächste bequem sehn: unten lag Hradschek, allem Anscheine nach tot, ein Grabscheit in der Hand, die zerbrochene Laterne daneben. Unser alter Anno-Dreizehner sah sich bei diesem Anblick seiner gewöhnlichen Gleichgültigkeit entrissen, erholte sich aber und kroch, unten angekommen, in Gemeinschaft mit Geelhaar und Woytasch auf die Stelle zu, wo hinter einem Lattenverschlage der Weinkeller war. Die Tür stand auf, etwas war aufgegraben, und man sah Arm und Hand eines hier Verscharrten. Alles andere war noch verdreckt. Aber freilich, was sichtbar war, war gerade genug, um alles Geschehen klarzulegen.
    (Theodor Fontane, ›Unterm Birnbaum‹)

     

     
    Seit er als Leiter der 12. Berliner Mordkommission pensioniert worden war, hätte Hansjürgen Mannhardt bis in die Puppen schlafen können, doch die innere Uhr ließ sich nicht so leicht umstellen, und so erwachte er auch an diesem Morgen pünktlich um 5.30 Uhr. Missmutig und müde wie immer. Die Botenstoffe, die Glücksgefühle auslösen sollten, schienen sein Gehirn für immer verlassen zu haben. Er lag da und wartete auf seinen Wadenkrampf. Auf den war Verlass. Da war er auch schon. Er war schmerzhafter als ein Schuss in die Wade. Mit einem leisen Aufschrei schwang sich Mannhardt aus dem Bett und suchte mit wild rudernden Armen nach einem Halt. Schwer atmend lehnte er schließlich am Kleiderschrank. Das Blut pochte in den Schläfen. Er fragte sich, ob das ein Anzeichen für ein Aneurysma oder eine Gehirnblutung war. Auch der Brustkorb wurde ihm eng. Das deutete eher auf einen Herzinfarkt hin. Sein Elend lastete schwer auf ihm.
    Heike stand in der Tür, die Gefährtin seines Lebens. »Ist dir nicht gut?«
    »Doch. Aber ich habe nachts zweimal auf die Toilette gemusst – die Blase mal wieder.«
    »Inkontinenz ist keine Krankheit, lass dir vom Osterhasen Windeln bringen.«
    Mannhardt murmelte, dass sie lieber nicht in die Küche gehen solle, weil dort Messer herumlägen und die meisten Morde Beziehungstaten seien.
    So leise er gesprochen hatte, es war ihr nicht entgangen. Schließlich war sie Journalistin.
    »Wenn du mich mit dem Messer erledigen willst, dann bitte bald, eh du einen solchen Tatterich hast, dass du mein Herz nicht mehr triffst. Und schade um den neuen Küchenschrank. Wegen der Spritzer.«
    Der allmorgendliche Kampf um den Platz im Bad begann. Heike, jetzt beim rbb festangestellt, musste ins Büro, Silvio, ihr gemeinsamer Sohn, ebenso dringend in die Schule. Dass er, Hansjürgen, noch dringender musste, interessierte keinen.
    Er hämmerte gegen die Badezimmertür. »Wenn ich jetzt nicht auf die Toilette kann, pinkele ich vom Balkon!«
    »Bitte zertrampele aber nicht wieder die Blumen dabei!«
    Familie war etwas Herrliches. Die Wissenschaft hatte ja herausgefunden, dass man in ihrem Schoße viel älter wurde, als wenn man ein ödes Singledasein fristete.
    Endlich saß er mit seinem Sohn am Frühstückstisch. Heike stand noch vor dem Spiegel.
    »Papa, was machen wir an Ostern?«
    »Zu Ostern!«, rief Mannhardt. »Wir sind hier in Berlin, und da heißt es zu Ostern und nicht an Ostern.« Wahrscheinlich hatte der Junge Lehrerinnen, die aus dem deutschen Süden oder Norden kamen und diese Unsitte mitgebracht hatten. Die sagten ja auch Samstag zu Sonnabend, Reibekuchen zu Kartoffelpuffern und Berliner zu Pfannkuchen. Das war doch abartig.
    Ostern war zwar längst nicht so nervig wie Weihnachten, zumal Osterbäume noch nicht in Mode gekommen waren, und dennoch hatte Mannhardt auch unter diesem Fest erheblich zu leiden.
    »Papa, warum fällt denn Ostern immer auf einen anderen Tag?«, fragte Silvio, der an sich Silvester hieß, dies aber als peinlich empfand.
    Natürlich wusste Mannhardt die präzise Antwort nicht auf Anhieb und suchte Bedenkzeit zu gewinnen. »Wieso, es fällt doch immer auf einen Sonntag …?«
    »Aber der ist mal im März und mal im April …«
    »Das liegt am Mond.«
    »Ah!« Silvio strahlte. »Ostern ist immer dann, wenn der Mond fast wie ein Ei aussieht.«
    »Nein, aber …« Wie sollte er im Lexikon oder im Internet nachsehen, ohne dass sein Sohn das merkte? »Ostern feiern wir Christen die Auferstehung Jesu Christi vom Tod und …« Endlich hatte er es: »Der
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