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Das Schlangenmaul

Titel: Das Schlangenmaul
Autoren: Jörg Fauser
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    Als die Preßlufthämmer mich weckten, träumte ich gerade vom Krieg. Ich brütete über einer Story, die sich nicht schreiben ließ, dann zerrissen Explosionen den Himmel, und der Alte schrie mir zu: Wenn du mit dem Thema nicht klarkommst, schmeiß ich dich endgültig raus.
    Vorsichtig streckte ich die Hand aus und berührte etwas Weiches. Ich machte die Augen auf und blickte in das Gesicht der Thailänderin. Sie schlief fest. Na gut, dachte ich, Deutschland hat noch einen Krieg verloren, aber du liegst im Bett der Sieger. Allmählich brachten die Preßlufthämmer mir bei, wo ich war. Berlin, Anfang November. Montagmorgen. Sonne, viel zu viel Sonne über den Dächern. Ich griff nach einem der Gläser neben dem Bett, erwischte einen Schluck abgestandenen Wodka mit Tonic. Dann eine Zigarette. Frühstück à la carte. Mein Herz fing an zu hämmern. War wohl etwas grob, gestern Nacht. Die letzten Stunden fehlten mir. Genaugenommen auch die letzten Tage. Nuchali lächelte im Schlaf. Für mich gab es nichts zu lächeln. Ich war achtunddreißig und pleite.
    Es klingelte.
    Post. Telegramm. An die Arbeit, Harder.
    Ich versuchte durch den Spion zu linsen, aber der war so verschmiert, daß ich nichts erkennen konnte. Ich zog den Gürtel meines alten Boxermantels zu und machte die Tür einen Spalt auf. Ein kleiner, stämmiger Mann, ungefähr mein Alter. Rosa Gesicht, spärliche blonde Haare. Adretter Regenmantel, weißes Hemd, Schlips und strahlendes Vertreterlächeln.
    »Guten Morgen. Herr Harder?«
    »Mhm. Und wer sind Sie?«
    »Wiglaff, Herr Harder. Von der Steuerfahndung.« Eine Hundemarke kam zum Vorschein. »Ich darf doch annehmen, daß Sie mit meinem Besuch gerechnet haben. Gestatten Sie?«
    So war das also. Ein Vertreter des Staates. Ich dirigierte ihn in die Küche. Wiglaff sah sich aufmerksam um, registrierte die leeren Flaschen, die unausgepackten Umzugskisten im Wohnzimmer, die kahlen Wände, den Müll auf dem Balkon. Durch seine Augen sah es sicher aus wie die Station eines Mannes auf der Flucht.
    »Zu diesem Blick darf man Ihnen ja gratulieren, Herr Harder. Dafür zahlt man gern etwas mehr Miete, stimmt’s?«
    Ich zuckte die Achseln und holte zwei halbwegs saubere Tassen aus der Spüle. Dann setzte ich Wasser auf. »Trinken Sie eine Tasse mit? Gibt aber nur Pulverkaffee.«
    »Vielen Dank, gern. Kann ich hier etwas Platz machen?« Wiglaff schloß seinen Aktenkoffer auf und entnahm ihm einen Schnellhefter. Der Vorgang Harder, Heinz. »Wie gesagt, mit meinem Besuch müßten Sie ja gerechnet haben. Allein in den letzten fünf Monaten hat das Finanzamt Ihnen vier Mahnungen geschickt, und es war ja auch eine Betriebsprüfung angekündigt.«
    »Ich war verreist.«
    »Aber eine amtliche Zustellung haben Sie angenommen.«
    »Wissen Sie, heutzutage ist soviel gleich amtlich, wer blickt da noch durch.«
    »Haben Sie denn keinen Steuerberater?«
    »Soll ich dem auch noch Geld in den Rachen schmeißen? Worum geht es denn eigentlich?«
    »Sie haben ja Humor, Herr Harder. Es geht natürlich um Ihre Steuerschulden. Das heißt, es geht jetzt auch um den begründeten Verdacht der Steuerhinterziehung.«
    Ich schluckte. »Steuerhinterziehung? Da fahren Sie aber ziemlich schweres Geschütz auf.«
    Er nickte und blätterte in der Akte.
    »Herr Harder, nach unseren Unterlagen haben Sie in den Jahren 1977 bis 1982 Einkünfte aus selbstständiger Arbeit als freier Journalist in Höhe von etwa 150000 DM nicht versteuert – und auch keine Mehrwertsteuer dafür abgeführt. Das macht mit Verzugszinsen inzwischen eine Steuerschuld von 51374,54 DM – ohne Mehrwertsteuer. Da Sie auf entsprechende Kontrollmitteilungen und Aufforderungen des inzwischen für Sie zuständigen Finanzamts Charlottenburg-Ost nicht reagiert und auch einen Betriebsprüfungstermin nicht eingehalten haben, hat sich das Finanzamt veranlaßt gesehen, die Unterlagen an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Tja, und da bin ich nun, Herr Harder.«
    Nur ruhig Blut, dachte ich. »Nehmen Sie Milch?«
    »Vielen Dank, nur Zucker, bitte.«
    »Zucker gibt’s keinen. Ist doch ungesund, das Zeug.«
    »Tatsächlich? Dann trinke ich ihn schwarz.«
    »Zigarette?«
    »Französische? Danke, die sind mir zu stark.«
    Er rauchte eine von der kastrierten Sorte. Dafür nahm er drei Löffel Pulverkaffee. Wir legten eine kurze Pause ein, bis die Gifte wirkten. Ich starrte durchs Fenster. Auf dem Altbau gegenüber, in dem nur noch ein paar türkische Familien und eine WG die Stellung
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