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Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf
Autoren: Banana Yoshimoto
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geschlossenen Augen durch eine Gegend streifen, nach der ich heftige Sehnsucht verspüre. Ein angenehmer Geruch liegt in der Luft, und ich fühle mich geborgen. Jedesmal ist dann ganz leise dasselbe Lied zu hören. Die Stimme ist so lieblich, daß mir die Tränen kommen. Vielleicht ist es aber auch gar kein Lied. Wie dem auch sei, es ist jedenfalls irgendwie eine Melodie, und sie wird leise, wie von Ferne und voller Glückseligkeit gesungen. Ja, es ist immer dieselbe Melodie.«
    »O-oh … das scheint mir aber doch gefährlich zu sein! Deutliche Anzeichen von Alkoholismus!«
    »Wie?« Als ich überrascht die Augenbrauen zusammenziehe, sagt Mizuo lachend: »Unsinn! Ehrlich gesagt habe ich so was schon mal gehört. Eine ganz ähnliche Geschichte. Es könnte bedeuten, daß dir irgend jemand etwas sagen möchte.«
    »Irgend jemand? Wer?«
    »Wer schon! Irgendein Verstorbener natürlich! Gibt es nicht so jemanden? In deinem Bekanntenkreis?«
    Eine Weile denke ich angestrengt darüber nach, aber fürs erste fällt mir niemand ein. Ich schüttele den Kopf.
    »Wenn ein Verstorbener jemandem, dem er im Leben nahegestanden hat, etwas mitteilen möchte, dann übermittelt er es auf diese Art, und … Na klar! Weil man beim Einschlafen oder wenn man betrunken ist, eine andere Bewußtseinsstufe erreicht, bieten sich diese Momente regelrecht dazu an. Das habe ich zumindest mal gehört.«
    Mir läuft plötzlich ein Schauer über den Rücken, und ich ziehe die Decke bis über die Schultern.
    »Aber dann müßte es doch auf jeden Fall ein Bekannter sein, oder?« frage ich. Die Vorstellung, daß mir irgendein unbekannter Toter die Ohren vollsingt, finde ich nämlich schrecklich, ganz egal, wie glücklich mich das auch macht.
    »Ja, schon, aber … Sag mal, könnte das nicht Haru sein?« meint Mizuo.
    Mizuo hat wirklich einen guten Instinkt. Ich bin total verblüfft, aber mein erster Gedanke ist: Ja klar, das könnte sein. Noch ist das zwar nur so ein Gefühl, aber eigentlich bin ich schon fast davon überzeugt. In letzter Zeit sind mir nämlich immer wieder Erinnerungen an Haru durch den Kopf gegeistert, Erinnerungen an Haru, von der ich so lange nichts mehr gehört habe.
    »Versuch doch mal, was rauszukriegen!«
    »Ja, genau … Ich könnte ja mal ein paar Freunde fragen«, sage ich. Er nickt.
    Egal, was Mizuo zu hören kriegt, niemals tut er etwas einfach so ab. Das liegt wahrscheinlich an seiner guten Kinderstube. Allerdings käme wohl niemand auf die Idee, daß sich hinter seinem Vornamen »Mizuo« eine tiefere Bedeutung verbirgt. Seiner Mutter war nämlich in ihrer Jugend keine andere Wahl geblieben, als ein Kind, mit dem sie damals schwanger war, abtreiben zu lassen. Deshalb hat sie in den Namen »Mizuo« den Wunsch gelegt: »Möge das Glück, das dem abgetriebenen Kind vergönnt gewesen wäre, auf dich übergehen und dir zu doppeltem Glück verhelfen.« {*}
    Ist es etwa normal, seinem Kind einen solchen Namen zu geben?
    Das Zimmer ist vom süßlichen Duft der weißen Rosen erfüllt, die Mizuo mitgebracht hat. Bei diesem Duft werde ich womöglich heute nacht sogar einschlafen können, ohne etwas zu trinken. Wieder küssen wir uns und halten uns fest umschlungen.
     
    »Haru ist tot.«
    Tatsächlich. Ich zucke zusammen, als man mir das so platt und unvermittelt mitteilt.
    Von Mizuo hatte ich erfahren, daß ein gemeinsamer Bekannter von Haru, unserem damaligen Liebhaber und mir derzeit in diesem Nachtcafé hier jobbt, und da ich von ihm irgend etwas zu erfahren hoffte, bin ich extra hergefahren – und zwar mit dem Taxi! Und das soll nun alles gewesen sein? Da hätte ja wohl auch ein Anruf genügt! Ich sehe ihm tief in die Augen und stelle fest, daß ihm nicht nach Scherzen zumute ist. Mit schwermütigem Blick steht er in seiner Kellnermontur hinter dem Tresen des überfüllten Cafés und trocknet die Teller ab.
    »Ist sie im Ausland gestorben? Woran? An Aids?« frage ich.
    »Nein, am Alkohol! Es war der Alkohol!« sagt er schwach, und mir läuft es zweimal eiskalt den Rücken runter. Einen Augenblick lang denke ich, daß auch mir dieses Schicksal bestimmt sein könnte.
    »In der Wohnung des Alten, der sie ausgehalten hat, ist sie völlig dem Alkohol verfallen. Mehrmals hat man sie zum Entzug in eine Spezialklinik eingewiesen, und zum Schluß muß sie vollkommen durchgeknallt gewesen sein. Ein Freund von mir, der aus Paris zurückgekommen ist, hat das wiederum von einem guten Bekannten gehört.«
    »… Aha.«
    Ich kippe meinen
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