Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf
Autoren: Banana Yoshimoto
Vom Netzwerk:
den tiefsten Grund der blauen Nacht sinkenden Mond erfüllte und bis in die kleinsten Verästelungen tiefblau durchtränkte Frage läßt mir keine Ruhe.
    Wenn ich mit ihm zusammen bin, werde ich zur Frau ohne Mund.
    Sooft ich das Shiori auch sagte – sie glaubte mir kein Wort, da sie mich nur als Quatschtante kannte, aber bei ihm sitze ich wirklich immer nur da, höre zu und nicke. Irgendwann damals, als sich sein Sprechrhythmus mit meinem Nickrhythmus gerade in so beachtlichem Einklang einzupendeln begann, daß wir beinahe schon künstlerische Höhen erreichten, war mir die frappierende Ähnlichkeit zu Shioris »Bei-Schlaf« aufgefallen, und ich hatte einmal versucht, ihr das zu sagen. »Warum ist es bloß immer wie im tiefsten Winter, wenn ich mit ihm schlafe …«
    »Ah, ich weiß, ich weiß«, hatte sie nur gesagt.
    Ich war wütend geworden: »Wieso willst du jetzt schon wissen, was ich meine, du hast mir doch noch gar nicht bis zu Ende zugehört!«
    »Na, hör mal, ich bin schließlich Profi!« hatte sie gesagt und die Augen zu noch schmaleren Schlitzen zusammengezogen. »Also: Für solche Menschen ist alles, worüber sie keine klaren, verbindlichen Abmachungen getroffen haben, erst mal gleich Null.«
    »Wie … gleich Null?«
    »Na ja, er ist eben vollkommen verunsichert. Wenn er zu dir stehen, sich eingestehen würde, daß du zu ihm gehörst, dann wäre das für ihn selbst, für sein eigenes standing doch erst mal ziemlich ungünstig, oder? Also bist du für ihn im Moment bis auf weiteres gleich Null – er hält dich in Reserve, hat auf den Pauseknopf gedrückt, dich auf Vorrat gekauft, du bist so was wie ein Rabattmarkenheftchen des Lebens für ihn, klar?«
    »Jaaa … ich glaub, ich verstehe schon, was du meinst, aber … was heißt ›gleich Null‹? Welchen Platz habe ich denn nun in seinem Herzen?«
    »Du? – Ein Plätzchen in der allerfinstersten Ecke natürlich!« hatte Shiori gesagt und gelacht.
     
    Ich will zu Shiori, unbedingt. Also laufe ich ziellos durch die Gegend, gehe Riesenumwege, obwohl ich doch weiß, daß es nie im Leben mehr möglich sein wird, sie zu treffen. Das Laufen gibt mir wenigstens irgendwie das Gefühl, mich ihr nähern zu können. Allmählich begegne ich immer weniger Menschen, die Nacht scheint dichter und dichter zu werden.
    Das letztemal, daß ich sie in ihrer Wohnung besucht habe, war ungefähr zwei Wochen vor ihrem Tod und damit im wahrsten Sinne des Wortes das letzte Mal. Irgendwie ging’s mir auch damals nicht so gut, und ich tanzte mitten in der Nacht ohne Voranmeldung bei ihr an. Sie war da und machte mir freudestrahlend die Tür auf.
    Ich erschrak, als ich eintrat. Mitten im Wohnzimmer hing eine riesige Hängematte.
    »Was ist denn das? Benutzt du die als Ablage?« Ich war in der Tür stehengeblieben und zeigte mit dem Finger darauf.
    »Na ja … sieh mal, bei der Arbeit muß ich doch immer in diesem Bett mit den weichen Plumeaus liegen und darf auf keinen Fall ein Auge zumachen«, sagte sie wie immer mit ihrem hohen, weichen, zarten Stimmchen. »Und mittlerweile brauche ich nur ein Bett von außen zu sehen, da bin ich schon hellwach, also hab ich mir gedacht, daß ich vielleicht in so was Instabilem, Unruhigem wie der Hängematte hier richtig schlafen kann …«
    Da war was dran – in der Tat, diese Begründung leuchtete sofort ein. Mit dem Gedanken, daß wohl jede Arbeit auf der Welt ihre besonderen Probleme mit sich bringt, trat ich ins Zimmer und setzte mich aufs Sofa.
    »Möchtest du einen Tee oder lieber was Alkoholisches?«
    Ihre langsamen Bewegungen, das immerwährende Lächeln in ihren Mundwinkeln – wie hatte ich sie vermißt! Alle in meinem Herzen aufgestaute, undefinierbare Müdigkeit schien von mir abzufallen, wie zu der Zeit, als sie noch bei mir wohnte.
    »Lieber was Alkoholisches«, sagte ich.
    »Na, dann werd ich mal ein Fäßchen Gin aufmachen für meine liebe Terako!« sagte Shiori, füllte Eiswürfel aus dem Gefrierfach in eine Schüssel, schnitt eine Zitrone auf und trug alles zusammen mit einer vollen, noch versiegelten Flasche Gin herüber.
    »War doch nicht nötig, extra eine neue Flasche anzubrechen«, sagte ich mit dem Glas in der Hand und bis zur Nase in die Tiefen des Sofas vergraben.
    »Macht nichts, ich trink sowieso kaum noch Alkohol«, sagte Shiori und nippte an einem Glas Orangensaft. Im Zimmer war es unheimlich still.
    »Es ist still hier, nicht?« sagte ich, ohne auch nur ein bißchen beschwipst zu werden. Ich war vollkommen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher