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Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf
Autoren: Banana Yoshimoto
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ich an den Augenblick dachte, da ich die Tür zu meiner Wohnung aufschließen und alleine sein würde, packte mich ein solcher Horror, als wollte mich jemand massakrieren.
    Ich begann zu schrumpfen – langsam drohte ich bis auf den Grund der endlosen Lichterlandschaft herabzusinken. Keine Ahnung, warum ich mich dermaßen einsam und traurig fühlte. Er war normal lieb und nett, wie immer, machte sogar Witze, über die ich auch lachen konnte. Aber die Angst ging nicht weg. Gleich würde ich festfrieren.
    Trotz alledem und rätselhafterweise, irgendwann – schwups! – war ich plötzlich weggeschlummert. Ich habe wirklich keine Ahnung, wann und wie ich eingeschlafen bin. Das nächste, woran ich mich erinnere, ist, daß er mich einen Augenblick später mit den Worten »Hallo, wir sind da!« wachrüttelte, wir schon vor meinem Apartmenthaus standen und ich dachte: »Uaah, gottseidank, das war kurz und schmerzlos! Das hat’s gebracht …«
    Die von mir am meisten gefürchteten, traurigen Minuten waren praktisch im Nu verflogen, und noch nach dem Abschied, der überhaupt nicht schlimm war, als es dann schließlich soweit war, dachte ich gerührt, während ich ihm lachend hinterherwinkte: Der Schlaf ist dein wahrer Freund.
    Doch was ist, wenn er dein Leben langsam, aber sicher auffrißt? kommt mir neuerdings in den Sekunden des Aufwachens immer öfter in den Sinn. Das macht mir ein wenig angst. Nicht nur, weil ich jetzt sogar schon seinen Anruf verpennt habe – ich schlafe mittlerweile so fest, daß mich beim Aufwachen jedesmal fast der Eindruck beschleicht, ich sei von den Toten auferstanden: Ja, es gibt Zeiten, da denke ich, wenn ich mich von außen beim Schlafen betrachten könnte, würde ich womöglich nur noch ein bleiches Skelett zu Gesicht bekommen. Bisweilen fasziniert mich sogar der Gedanke, daß es vielleicht gut wäre, wenn ich gar nicht mehr aufwachte, wenn ich einfach so zu Staub zerfallen und ein für allemal in die sogenannte Ewigkeit eingehen könnte. Ich bin womöglich vom Schlaf besessen. Genau wie Shiori von ihrer Arbeit besessen war. Und bei diesem Gedanken wird mir angst und bange.
     
    Er verliert zwar kaum ein Wort darüber, wie es in ihm aussieht, aber wenn ich in letzter Zeit mit ihm schlafe, kann ich mir gut vorstellen, wie sehr ihn das alles erschöpft – er ist am Ende seiner Kräfte. Da er praktisch überhaupt nichts Konkretes über die Situation erzählt, bin ich nicht mal über die rein medizinischen Fakten informiert. Eigentlich kann ich also gar nichts sagen, aber ich vermute, daß die Verwandten seiner Frau sie unter allen Umständen am Leben erhalten möchten; zugleich haben sie ihm sicher, da er sie als »schwer in Ordnung« bezeichnet hat, die Scheidung nahegelegt. Und was ihn selbst betrifft, so nehme ich an, daß er jedesmal innerlich zerrissen ist, wenn er zum Krankenhaus fährt und sie nach wie vor schlafend vorfindet, weil er sich sagt: »Sie lebt noch«, und daß er sich wohl geschworen hat:
    »Ich verlasse sie nicht eher, bis daß der Tod uns scheidet«, weil er sich in dieser Rolle am ehesten gefällt. Deshalb kann er das mit mir auch keiner Menschenseele sagen. Weil er selber erstens so total erschöpft ist von allem, daß er sich gar nicht vorstellen könnte, sich, selbst für den Fall, alles hätte zu einem Ende gefunden, sofort zu mir zu bekennen, und weil er zweitens, genau wie Shiori gesagt hatte, verunsichert ist, wie lange ich das Ganze überhaupt noch mitmache. Aaach, letztendlich wird alles ewig so weiterlaufen wie bisher. Immer im Kreis herum – ein Teufelskreis. Und das einzige, was ich dabei zur Zeit tun kann, ist, den Mund zu halten. Im Augenblick entsetzt mich bloß, wie tonnenschwer er sich anfühlt auf mir. In den anderthalb Jahren, in denen wir zusammen sind, hab ich es einfach nicht geschafft zu verhindern, daß er rasend schnell gealtert ist. Ob es daher rührt, daß ich selbst ebenso erschöpft bin? Ich weiß es nicht, jedenfalls lassen mich diese dumpfen Gedanken nie ganz los während dessen , lenken ab, so daß ich es überhaupt nicht genießen kann. Die Dunkelheit des Zimmers scheint unaufhörlich in mein Herz zu sickern. Wie einen phantastischen Traum nehme ich von fern die Lichter der Nacht wahr, die die ganze Zeit jenseits der dünnen Vorhänge glitzern und funkeln. Sooft ich den Kopf zur Seite drehe, fällt mein Blick darauf. Und ich stelle mir den eisigen Wind vor, der da draußen um die Ecken pfeifen muß.
    Wir liegen nebeneinander und sind
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