Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf
Autoren: Banana Yoshimoto
Vom Netzwerk:
Krankenhaus und lebt still vor sich hin. Schlafend.
    Meine erste richtige Verabredung mit ihm hatte ich an einem Sonntag mitten im Winter; wir fuhren zusammen mit dem Auto ans Meer. Ein Studentenjob, den ich übernommen hatte, war gerade zu Ende, und ich hatte mich für den ersten Sonntag danach zu einem date mit ihm hinreißen lassen. Er war bei der Arbeit einer meiner Vorgesetzten gewesen, und ich wußte, daß er ein verheirateter Mann war. Es wurde ein langer, langer Tag.
    Heute kann ich spüren, daß die große Veränderung in mir bereits an diesem Tag eingesetzt haben muß. Ich muß an jenem Tag das gesunde Mädel in mir irgendwo zurückgelassen haben. Obwohl sich eigentlich nichts merklich veränderte, müssen er und ich irgendwann an diesem Tag mit einem Schlag in einen großen, dunklen Strudel des Schicksals hineingerissen worden sein, gegen den wir uns nicht wehren konnten. Damit meine ich nicht nur den Strudel sexueller Energie, die Verliebtheit erzeugt, sondern einen weitaus überwältigenderen, furchtbar traurigen Strudel, gegen den wir beide auch mit vereinten Kräften nicht das geringste ausrichten konnten.
    Damals an jenem Tag aber war ich noch völlig unbeschwert und gutgelaunt, ich platzte vor Lebensfreude und hatte ihn – obwohl wir uns nicht mal geküßt hatten – einfach nur total lieb, lieber als jeden anderen Menschen auf der Welt. Während ich mich von ihm die endlose Küstenstraße entlangfahren ließ, war ich einfach nur glücklich: Das Meer war wunderschön, und ich fühlte, passend zu den im Licht schaukelnden Wellen, eine glitzernde Wahnsinnsenergie in mir aufschäumen.
    Wir stiegen irgendwo am Strand aus, und nach ein paar Schritten waren meine Pumps voller Sand. Trotzdem, der Seewind war angenehm, die Sonne schien matt. Da wir wußten, daß es zu kalt war, um uns allzu lange draußen aufhalten zu können, war uns das Rauschen der Wellen um so lieber. Ehe ich mich versah, hatte ich schon mit festem Blick zu ihm aufgeschaut und neckisch gefragt:
    »Was ist denn Ihre Frau so für ein Mensch, Herr Iwanaga?«
    Er lächelte bitter und sagte: »Gar keiner. Sie ist nur noch Gemüse. Vegetiert vor sich hin.«
    Es mag zynisch klingen, aber jedesmal, wenn ich mich an diesen Dialog erinnere, kann ich mich kaum halten vor Lachen. ›Was ist denn Ihre Frau so für ein Mensch?‹ – ›Gar keiner. Sie ist nur noch Gemüse.‹
    Damals konnte ich jedoch wirklich nicht darüber lachen; ich machte bloß große Augen und fragte: »… Wie?«
    »Ja, sie hatte einen Unfall – hat selbst am Steuer gesessen – und liegt seitdem im Krankenhaus, im Koma. Das ist jetzt bald ein Jahr her. Was glauben Sie, weshalb ich mich einfach so mit einer anderen Frau treffen kann, am Sonntag?«
    Während er das so leichthin sagte, hielt er die eine Hand in seiner Manteltasche vergraben. Ich zog sie heraus – sie war ganz heiß. Erschrocken sagte ich: »Das ist doch nicht wahr, oder?«
    »Eine derart abstruse Geschichte denkt man sich wohl kaum aus, oder?«
    »Ja, da haben Sie recht.« Ich nahm seine Hand fest in meine beiden Hände. »Sie besuchen sie doch sicher und pflegen sie? Ist es sehr schlimm?«
    »Hören wir auf, davon zu reden«, sagte er und wandte den Blick von mir ab. »Es ändert ja auch nichts an der Tatsache, daß ein verheirateter Mann vor Ihnen steht. Und ein verheirateter Mann, der sich verliebt, hat ohnehin schon verdammt viel auf dem Buckel, auch ohne Gemüsefrau.«
    »Falls das ein Witz sein sollte – lustig war er nicht gerade«, sagte ich und führte seine Hand an die Wange. Der Wind verstummte in meinem Ohr. Es roch nach Winter. Die Wolken, die in der Ferne über dem Meer leuchteten, verschmolzen mit dem Himmel zu einem purpurnen Vlies. Leise übertrug seine Hand das Rauschen der Wellen.
    »Kommen Sie, wir gehen«, sagte ich. »Mir ist kalt geworden. Trinken wir irgendwo einen heißen Tee.«
    Als ich seine Hand ganz automatisch loslassen wollte, hielt er meine zurück und drückte sie, ganz kurz nur, ganz fest. Erschrocken sah ich zu ihm auf: Ich blickte in Augen, die die Ewigkeit zu schauen schienen, in eine Farbe, tiefer als das Meer, in der ich ALLES ZU erkennen glaubte.
    Alles über ihn, die Vorzeichen der großen Liebe zwischen uns – in jenem Moment begriff ich ALLES, mit einem Mal, das ganze schwere Bündel zwischen ihm und mir. Und da erst habe ich mich richtig in ihn verliebt. Dort, im Angesicht des Meeres, von einem Moment auf den anderen, schlug das unbestimmte Gefühl, das ich bis
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher