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Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer

Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer

Titel: Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer
Autoren: Veronica Henry
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1
    Das Nest
    Eine leichte Brise kräuselte die Oberfläche des stahlblauen Meers. Die Sonne, die mit fortschreitender Jahreszeit immer kühner wurde, war offenbar wild entschlossen, sich nicht von den Wolken beeindrucken zu lassen, die am Morgen aufge kommen waren. Diese hatten sich dann auch vor einer Stunde ziemlich widerstrebend verzogen, allerdings mit der Drohung, sich jederzeit wieder blicken lassen zu können, wie Rüpel auf einem Spielplatz. Aber inzwischen war der Strand in Licht und Wärme getaucht, und allmählich verflüchtigte sich die Kühle aus dem Sand. Die Insel Lundy hockte gedrungen und entschlossen am Horizont und sah aus, als könnte sie jeden Moment ablegen und in den Atlantik hinaustreiben.
    Roy Mason trat aus seinem Schuppen oben am Strand, die Hände um seine zweite Tasse Tee an diesem Morgen verschränkt. Die erste hatte er getrunken, bevor er sein kleines Steinhaus hoch oben in einer der gewundenen Straßen verlassen hatte, die das Städtchen Everdene kennzeichneten. Wenn er für jeden unter der Tür durchgeschobenen Zettel mit der Anfrage, ob er nicht verkaufen wolle, ein Pfund bekäme, hätte er sich schon bald eines der neuen, oben in den Hang gebauten zweistöckigen Häuser leisten können. Dort verkündete ein großes Schild stolz, alle Häuser aus Phase eins seien bereits verkauft. Die Immobilienpreise stürzten im ganzen Land in den Keller – hier nicht. Hier duftete die Luft angenehmer als jeder Weichspüler, auf den sanften Hügeln ringsum grasten flauschige weiße Schafe, und der Blick auf das Meer war einfach spektakulär. In all den Jahren war Roy dessen nie überdrüssig geworden. Nicht, dass er viel anderes kennengelernt hätte. Seine Teetasse mit dem großen roten Herzen ließ vielleicht vermuten, er liebe New York, aber weder war er je dort gewesen, noch zog es ihn dorthin. Seine Tochter hatte ihm die Tasse mitgebracht, als sie nach New York geflogen war, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Roy freute sich, dass sie solche Reisen unternahm, aber für ihn war das nichts.
    Er trank den letzten Schluck des süßen Tees, stellte die Tasse ab und sammelte sein Werkzeug ein. Gutes Werkzeug, mit hölzernen Griffen, die sich über die Jahre seinen Händen angepasst hatten, glatt und massiv in seinen Fingern, nicht wie der leichte Plastikschund, der jetzt überall verkauft wurde und der sich verbog, kaum dass man ihn in die Hand nahm. Heutzutage ging es überall nur noch um Kostensenkung und Gewinnmaximierung. Die Leute hatten einfach keinen Stolz mehr.
    Wenn man etwas anfing, musste man immer sein Bestes geben, das war Roys Meinung. Er machte keine halben Sa chen. Er verrichtete seine Arbeit auf gute, altmodische Weise. Vor einiger Zeit hatte jemand mal Handzettel verteilt, auf denen er Roys Preise unterbot, und ein paar der Hauseigentümer waren wirklich darauf hereingefallen. Der Bursche mochte ja billiger arbeiten, aber er hatte zwei linke Hände gehabt. Roy hatte ihm zugesehen, wie er versucht hatte, eine neue Tür einzubauen. Das war schlichtweg zum Schießen gewesen. Der Mann hatte ihm sogar leidgetan, schließlich versuchte er ja auch nur irgendwie über die Runden zu kommen, aber er hatte einfach keinen Schimmer von dem, was er da tat. Irgendwann hatte er es aufgegeben, war weitergezogen, und Roy arbeitete wieder für seine alten Kunden. Schwamm drüber, sagte er sich und verlor nie ein Wort über die Angelegenheit. Roy Mason war nicht nachtragend.
    Er war der inoffizielle Hausmeister der Strandhütten, seit es sie gab. Sein Vater hatte sie für eine Immobilienfirma gebaut, und Roy war sein Laufbursche und Mädchen für alles gewesen. Sie hatten mit einem Dutzend begonnen, aber die Hütten waren weggegangen wie warme Semmeln, und die Reihe war immer länger geworden, bis sie schließlich an den Felsen endete, die der Bauwut Einhalt geboten hatten. Bis heute führte Roy bei den meisten Hütten die Instandhaltungsarbeiten durch und machte den Winter über seine Runden, um nach Anzeichen von Frostschäden oder Einbrüchen zu sehen.
    Einige der Eigentümer waren recht knauserig und leisteten sich nur alle drei, vier Jahre einen Außenanstrich. Sie sparten am falschen Ende, fand Roy. Wind und Regen setzten den Hütten im Winter zu, das Holz brauchte Schutz. Manche Leute beließen ihre Hütten schmucklos einfach, andere wählten, getrieben von dem Bedürfnis, sich selbst zu verwirklichen, leuchtende Farben, die ihnen irgendwie maritim erschienen: schrille Rot-, Grün-, Rosa- und
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