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0698 - Karneval des Todes

0698 - Karneval des Todes

Titel: 0698 - Karneval des Todes
Autoren: Roger Clement
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Ann Kingsley war zunächst enttäuscht gewesen.
    Allerdings versuchte die junge attraktive Frau, sich ihre Stimmung nicht anmerken zu lassen.
    Für die Amerikanerin aus Seattle gehörte zu einer Mondscheinfahrt durch Venedig nun mal eine altmodische schwarz lackierte Gondel, komplett mit einem einheimischen Gondoliere, der schmalzige Liebeslieder schmetterte.
    Ihr Freund David Langston dachte da praktischer.
    Eine Gondel war auf die Schnelle nicht mehr zu kriegen gewesen. Daher hatte Langston ein motoscafo, ein Motorboot-Taxi, samt Fahrer gemietet, um eine nächtliche Besichtigungstour durch Venedig zu machen. Die weltberühmte italienische Lagunenstadt musste man einfach vom Wasser aus erleben.
    Das war selbst einem so unromantischen Software-Ingenieur wie David Langston klar.
    Leise tuckerte das Motorboot durch den Canale di San Marco.
    Jetzt, da sie endlich unterwegs waren, verschwand Anns aufkommende schlechte Laune wie durch Zauberhand.
    Eng an David gekuschelt genoss sie den herrlichen Anblick.
    Die jahrhundertealten Palazzi von Venedig wirkten in der Vollmondnacht wie verwunschene Gebäude einer Märchenstadt.
    Wie viele Amerikaner dachte Ann Kingsley darüber nach, aus welch jungem Land sie stammte.
    Einige dieser Häuser dort drüben waren über tausend Jahre alt! Und die Stadt Venedig gab es schon seit dem 24. März 421, also seit über 1.500 Jahren!
    Eine Zeitspanne, die Ann Kingsley erschauern ließ.
    David Langston deutete ihr Zittern falsch. Er legte den Arm enger um sie.
    »Ist dir kalt, Darling? Wir können bald ins Hotel zurückkehren…«
    Ann lächelte ihm zu. So frisch verliebt, wie sie es nach sechs Monaten an seiner Seite immer noch war.
    »Nein, es ist wundervoll, Dave. Meine Lederjacke ist außerdem mit Schaffell gefüttert, wie du weißt.«
    »Ja, der Winter ist nicht die richtige Jahreszeit für eine Tour im offenen Boot.«
    Es war, als ob David Langston nicht zugehört hätte. Ann seufzte. Warum mussten Männer immer so unromantisch sein?
    »Es ist alles perfekt, Dave. Es ist nur… ich musste gerade daran denken, wie vergänglich wir sind. Diese Stadt dort vor uns gibt es schon so unglaublich lange. Und wir? Wir werden geboren, leben ein paar Dutzend Jahre und verschwinden wieder im Nichts.«
    David Langston antwortete nicht. Solche Gespräche gefielen dem jungen Techniker nicht. Er mochte konkrete Aufgaben, die man anpacken konnte. Überhaupt etwas Handfestes. So wie der warme, anschmiegsame Körper seiner attraktiven Freundin.
    Je länger diese Bootsfahrt dauerte, desto mehr verstärkte sich seine Erregung - und seine Ungeduld. Der Amerikaner konnte es kaum erwarten, endlich wieder in ihrem Zimmer im traditionsreichen Hotel Cavaletto zu sein. In dem breiten französischen Doppelbett…
    Anns braune Haare kitzelten ihm in der Nase.
    Das Wasser der Lagune war ruhig. Die Lichter von Venedig warfen Tausende blinkender Spiegelbilder auf die sanfte Dünung, Plötzlich beugte sich die junge Amerikanerin vor. Sie wandte sich an den Fahrer des Motorboottaxis.
    »Was für eine Insel ist das, Signore?«
    »Die Isola di San Michele, Signorina. Eine Friedhofsinsel.«
    »Können Sie näher heranfahren?«
    Der Mann am Ruder schien sich nicht wohl in seiner Haut zu fühlen.
    »Es ist Nacht, Signorina… Da ist es auf San Michele nicht geheuer.«
    Seine Stimme klang rau. So wie das Organ eines Mannes, der seine Angst unter übertriebener Härte verbirgt. Der Amerikanerin konnte man so leicht nichts vormachen. Sie war eine ausgezeichnete Menschenkennerin.
    Anns Interesse war geweckt.
    »Sie meinen, es gibt da Geister oder sowas?«
    Der Fahrer hüllte sich in Schweigen. Er drehte seinen Fahrgästen nur seinen breiten Rücken zu.
    David Langston schaltete sich ein. Er wusste, wie man solche Probleme löste. Glaubte er jedenfalls.
    Der Amerikaner war von der kunststoffgepolsterten Sitzbank aufgestanden und hatte sich von hinten dem Bootsbesitzer genähert. Lässig schob er einen Hundert-Dollar-Schein in dessen Jackentasche.
    »Fahren Sie eine Runde um diese Insel St. Michele, okay?«
    David hoffte, dass seine Freundin danach endlich ins Hotel zurückkehren wollte…
    Die knisternden Greenbucks in seiner Tasche ließen den Fahrer für den Moment seine Angst vergessen. Er betätigte den Gashebel des Bootsmotors und drehte am Lenkrad.
    Das Motorboot durchpflügte den Canale delle Fondamenta Nuove und ließ die glitzernde Kulisse Venedigs hinter sich.
    Die Friedhofsinsel San Michele war nur spärlich
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