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Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf
Autoren: Banana Yoshimoto
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Wahnsinnigwerden. In der Nacht sieht immer alles machbar aus, und deswegen werde ich kein bißchen müde.
    Zusammen mit ihm bekomme ich von Zeit zu Zeit das »Ende der Nacht« zu Gesicht. Ein Anblick, den ich nie zuvor erlebt habe.
    Nicht während dessen , das meine ich nicht. Während dessen verliert sich nur der Abstand zwischen uns, auch unsere Seelen schweifen nicht mehr ab. Er ist jemand, der beim Sex kein Wort sagt, also absolut keinen Ton; deshalb versuche ich zwar immer, irgend etwas aus ihm herauszulocken, um ihn zu ärgern, aber eigentlich mag ich sein Schweigen richtig gern. Ich habe dann das Gefühl, als schliefe ich durch ihn hindurch mit der riesigen Nacht. Solange er nichts sagt, fühle ich nicht nur ihn in meinen Armen, sondern sein ganzes wahres Wesen, vom tiefsten Grunde seines Herzens. Bis er »Wollen wir allmählich schlafen?« sagt und sich von mir löst, brauche ich an nichts zu denken. Ich brauche nichts weiter zu tun, als die Augen zu schließen und sein wahres Wesen zu fühlen.
    Es passiert später, tief in der Nacht.
    Es ist immer gleich, egal, ob wir in einem großen Hotel sind oder in einer billigen Absteige hinterm Bahnhof. Mitten in der Nacht werde ich plötzlich mit dem Gefühl wach, Wind oder Regen zu hören.
    Und weil ich dann immer unbedingt hinaussehen möchte, öffne ich das Fenster. Leise streicht ein kühler Wind ins stickige Zimmer, und ich sehe die Sterne funkeln. Oder es fängt sachte an zu regnen.
    Und wenn dann zufällig, nachdem ich mir das eine Weile angesehen habe, mein Blick auf ihn an meiner Seite fällt, hat er, von dem ich geglaubt habe, daß er fest schläft, die Augen weit offen. Aus unerfindlichen Gründen fehlen mir die Worte, ich schaue ihm nur still und tief in die Augen. Obwohl er im Liegen wohl kaum hinaussehen kann, ist sein Blick hell und klar, so als würde er die Aussicht und die Geräusche von draußen wahrnehmen.
    »Was gibt’s da draußen?« fragt er mich ganz ruhig und leise.
    »Regen«, antworte ich, oder: »Wind«, oder: »Es ist ganz klar, und man kann die Sterne sehen.« Irgendwie fühle ich mich einsam und verlassen dabei, und meine Stimmung droht umzukippen. Warum bin ich nur so einsam, wenn ich mit ihm zusammen bin? Vielleicht wegen dieser komplizierten Situation, in der wir uns befinden; vielleicht liegt es auch daran, daß mir zu allem, was uns beide betrifft – mit Ausnahme meiner Liebe zu ihm –, das eindeutige Gefühl fehlt: Ich kann nicht sagen, was ich von unserer Beziehung erwarte.
    Das einzige, worüber ich mir die ganze Zeit schon im klaren bin, ist, daß unsere Liebe auf Einsamkeit gebaut ist. Still geduckt sitzen wir beide in strahlend öder Finsternis und können uns nicht lösen aus der bleiernen, lähmenden Gemütlichkeit dort.
    Dort ist das Ende der Nacht.
    In der kleinen Firma, in der ich nach der Uni eine Stelle gefunden hatte, ist immer dermaßen hektisch viel los gewesen, daß mir keine Sekunde mehr blieb, ihn zu sehen; also hab ich kurzerhand gekündigt. Jetzt ist es bald ein halbes Jahr her, seit ich keinerlei Arbeit mehr nachgehe. Ich habe die meisten Tage damit verbracht, in aller Ruhe für mich alleine einzukaufen und meine Wäsche zu waschen – ich hab ja nichts zu tun tagsüber.
    Ich kann bequem leben, da ich etwas auf der hohen Kante habe – nicht viel zwar, aber immerhin – und er mir außerdem jeden Monat eine erstaunlich hohe Summe überweist, weil ich die Stelle schließlich seinetwegen an den Nagel gehängt hätte. »Na bitte – jetzt werd ich schon ausgehalten wie eine typische Geliebte!« dachte ich anfangs und habe kurz gezögert, aber dann entschloß ich mich doch, das Geld dankend anzunehmen, getreu meinem Lebensmotto: Erst mal nehmen, was man kriegen kann. Das heißt, vielleicht verpenne ich meine ganze Zeit ja auch nur, weil ich nichts zu tun habe. Ich weiß zwar nicht, wie viele junge Frauen es von meiner Sorte noch gibt in Japan, doch all jene seltsam blaß und matt wirkenden Geschöpfe, denen ich tagsüber in den Kaufhäusern begegne und die weder wie Studentinnen noch wie Freiberuflerinnen aussehen, sind womöglich ähnlich gelagerte Fälle, davon bin ich fast überzeugt. Denn dieses Umherirren mit völlig ziellosen Blicken kenne ich nur allzu gut.
    An einem sonnigen Nachmittag, als ich gerade mal wieder so durch die Straßen bummele, läuft mir zufällig ein Freund über den Weg.
    »Heeey, wie geht’s?« rufe ich und renne auf ihn zu. Er ist ein Freund aus Unizeiten, ein sehr verläßlicher,
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