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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman
Autoren: C.H.Beck
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1.
Kapitel
    I n jedem Sturm steckt ein Teufel. In einem sommerlich flüchtigen wie auch in einem, der sich tagelang schwer aufs Land legt. Er versteckt sich vor Gott. Je ängstlicher er wird, desto kräftiger wirbelt er die Luft und die Erde auf. Doch auch das nützt ihm wenig. Wenn dann der Sturm draußen auf den Feldern jault, wissen die Menschen, dass Gott den Teufel gefunden hat.
    Hat er Glück, so kann er fliehen. Er tritt aus dem Orkan heraus, der Wind legt sich, und die Wolken lösen sich auf, als ob es sie nie gegeben hätte. Aber es ist zu früh zum Aufatmen, zu dringend braucht der Gehetzte neue Tarnung. Er wird sie im Fell einer Katze oder in der dichten Krone einer Buche suchen. Wer sich an solchen Tagen aus dem Haus traut, rafft die Kleider fester um den Körper, damit der Teufel sich nicht einschleicht.
    Im Juli 1924 kam mein Vater aus solch einem Gewitter heraus, und er widersprach jenen nie, die meinten, er habe mit dem Teufel paktiert. Nicht, als er Mutter heiratete, nicht, als sie mich bekamen, und auch nicht, als er alles wieder verlor.
    Als damals die Wolkenfront im Westen, noch hinter der Grenze zu Ungarn, sich bedrohlich vorwärtsschob, sprang der alte Feldwächter auf. Das Donnern hatte ihn geweckt, der Himmel war wie mit Teer überzogen. Hastig suchte Marian sein Horn und wollte das Dorf warnen, aber derSchnaps hatte seinen Mund trockengelegt. Er nahm wieder einen kräftigen Schluck, und jetzt erklang sein Ruf durch die in der Sonne erstarrten, verlassenen Gassen.
    Inzwischen schlugen weit entfernt Blitze in den Acker, und der Regen setzte in breiten Schwaden ein. Marian steckte das Horn unter den Arm, schob die Füße in die Holzschuhe und lief zum Haus des Burghüters. So nannte man diesen, obwohl es hier nirgends eine Burg gab, aber vielleicht sahen die Bauern das ganze Dorf als Burg an. Ein Dorf, das so frei stehend und verwundbar war, dass es nicht nur dem Wetter, sondern allen, die hier durchwollten, ausgesetzt war. Ganzen Armeen und einzelnen Herumstreunern, Habsburgern und Ungarn, Irdischen und manchmal auch Überirdischen.
    Der Burghüter Strubert wusste Bescheid, seine Frau hatte ihn, der an derselben Leidenschaft wie der Feldwächter litt, wach gerüttelt. Sie schleppte ihn zum Fenster, wo er fluchte und sie schlagen wollte, weil sie zu lange gewartet hatte. Er packte den Schlüssel zum Kirchturm, stürzte hinaus und rief dem Feldwächter zu, mit dem er beinahe zusammengestoßen wäre: «Sturmläuten!» Er ahnte nicht, dass er an jenem Tag die große, schwere Glocke gleich zweimal würde läuten müssen.
    Sie war bereits 1773, ein Jahr nachdem das Dorf aus dem Nichts entstanden war, auf das Betreiben von Frederick Obertin hin in Temeschwar gegossen und auf einem Ochsenkarren hierhergebracht worden. Dann hatte man sie mit großer Mühe in den Glockenturm hinaufgezogen und neben der kleinen und der mittleren Glocke angebracht. Sie war die Wichtigste.
    Sie war es, die man bei Feuer oder anderen Gefahren läutete. Sie, deren Schall sich hinaus auf die Felder ausbreitete,um die Mittagsruhe anzuzeigen, und die in der Dämmerung das Geläut der anderen zwei Glocken beendete, mit dem man die Leute von den Feldern nach Hause holte. Drei Schläge, für den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Sie war es auch, die zuerst erklang, wenn ein Toter zu Grabe getragen wurde.
    Der erste Tote hatte nicht lange auf sich warten lassen. Der Knecht Roland Manoeuvre sollte die Glocke kurz vor der Einweihung polieren, verhedderte sich in den Seilen und stürzte kopfüber in die Tiefe. Er fiel direkt vor die Füße von Frederick Obertin und den anderen Gästen. Vielleicht war es der Schnaps gewesen, vielleicht etwas anderes, Unerklärliches. Jedenfalls war dies der Anfang einer langen Serie von Unfällen, Morden und Selbstmorden, die das Dorf heimsuchen sollte. Das alles war Gottes Land, aber mit dem anderen rechnete man auch.
    Als der Burghüter sich jetzt in die Hände spuckte und das Seil packte, hatten die meisten Bauern auf den Feldern, oft vier, fünf Kilometer entfernt, das Unwetter bemerkt. Mancher hatte sich mit der Hand im Kreuz aufgerichtet, weil er das veränderte Licht wahrnahm. Ein letztes schwaches Schimmern, bevor die Sonne verschwinden würde. Und eine erste, leichte Windböe, die alles Folgende ankündigte. Ende Juli war Erntezeit. Da standen überall in Garben gebündeltes Korn und oft noch getrocknetes Heu auf den Feldern. Aber da war nichts zu machen, man musste später sehen, was
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