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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman
Autoren: C.H.Beck
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war das verängstigte Paar von einer schimpfenden Menschenmenge umringt, und wenig fehlte, dass man es gelyncht hätte.
    Sie hatten ihr Leben Frederick Obertin zu verdanken, der sich vor sie stellte und die Einberufung eines Richttages verlangte. Es ist nicht so, dass er besonders liebenswürdig war, er handelte nicht aus Mitgefühl, sondern weil er der Richter war. Und seine Macht war die Rechtsprechung.
    Normalerweise dauerte die Vorbereitung eines Richttages eine Woche. Das Zeichen, dass bald gerichtet wurde, ging von Haus zu Haus. Jeder kannte seine eigenen Vergehen, die in einem vom Richter aufbewahrten Strafbuch aufgelistet waren. Jeder fürchtete den Tag. Ein solcher Fall wie der von Ludwicus und Anna aber war dringend und erforderte Härte. Man zog Anna an den Haarendurchs Dorf, schubste und ohrfeigte Ludwicus, von überallher strömten Menschen lärmend und spottend zur Hauptgasse. Erst vor dem Hof des Richters ebbte der Lärm ab, die alten Männer schoben das Paar vor sich her, bis alle im Haus verschwanden.
    Dort wurde Gericht gehalten, und Frederick verurteilte die beiden zu dreißig Peitschenhieben, zur anschließenden Vermählung, zum Ausschluss aus der Gemeinschaft und zum Leben fernab des Dorfes. Sie durften die Dorfgrenze nur wieder passieren, um einmal im Jahr die Eltern zu besuchen. Sie wurden also ausgepeitscht, und der jungen Frau wurde ein Brautkleid über die noch frischen, blutigen Striemen gezogen. Der Pfarrer läutete die Glocken, die kleine, die große, dann wieder die kleine und am Schluss alle drei zusammen.
    Direkt vor der Kirche wurden die beiden auf einen Ochsenkarren gesetzt, mit Proviant, einer Kuh und etwas Werkzeug versehen und zur Dorfgrenze gebracht. Das Kind, das Anna später gebar, starb ungetauft am zweiten Tag. Seine Seele holten sich die Teufel, sagten die wenigen Rumänen im Dorf.
    Gemessen an solchen Maßstäben, hätten Jakob-ohne-Nachnamen und Elsa Obertin ausgepeitscht, gerädert und die Erinnerung an sie hätte aus dem Gedächtnis der Leute ausgelöscht werden sollen. Denn sie, die nicht mehr ganz jung, aber Gottes Gesetzen genauso ausgesetzt waren, schliefen miteinander nach nur drei Wochen, für Elsa nicht freiwillig, aber auch nicht unerwünscht. Sie musste sich einen solchen Mann sichern, der den weiten Weg nur für sie auf sich genommen hatte.
    Als Jakob am Morgen nach dem Sturm vor den Überresten ihres Hofes auftauchte, sah er in den Kleidern vonNeper wie ein zu schnell und zu groß gewachsener Junge aus. Elsa hätte beinahe gelacht und den Zustand des ehemals stolzen, dann heruntergekommenen und jetzt zerstörten Hofes der Obertins vergessen, den sie mit Geld aus Amerika erst wieder instand gesetzt hatte.
    Die Flammen konnten den Hof rauben, aber niemals den Boden, den sie besaß. Doch viele ihrer Rinder hatten auf den Weiden übernachtet und konnten vor dem Sturm nicht mehr nach Hause gebracht werden. Nur die Pferde von Niclaus, Elsas Vater, waren im Stall eingeschlossen gewesen. Er wollte sie immer in seiner Nähe haben, seitdem seine Frau gestorben war. «Wenn ich die Pferde sehe, sehe ich sie. Sie hat sie doch so geliebt», murmelte er manchmal. Jetzt waren alle bis auf eines verbrannt oder vom einstürzenden Stall erschlagen worden.
    Vermutlich aber waren Elsa und ihr Vater für Jakob genauso seltsam anzusehen, wie sie da rußgeschwärzt in ihren Nachthemden und Stiefeln steckten. Jakob entging nicht, dass die Menschen, die vorbeizogen, nur verstohlen hinschauten, meist den Kopf abwandten, obwohl sie das Unglück anderer magisch anziehen musste.
    Elsa war damit beschäftigt, die Überbleibsel nach Brauchbarem zu durchforsten und Gerätschaft und Hauseinrichtung zu sammeln. Währenddessen stocherten die Tagelöhner, die sie wegen der Ernte eingestellt hatten, in der heißen Asche nach glimmenden Stellen herum. Wenn sie eine fanden, gossen sie Wasser in die kleine Mulde, aus der dann Dampf aufstieg. Niclaus kniete neben einem seiner Pferde nieder und streichelte es, als ob es noch lebte.
    So kam Jakob langsam und prüfend auf sie zu, und er behielt die kleine, zierliche Frau, die meine Mutter werdensollte, stets im Blick. Sie bemerkte ihn erst, als er schon eine Weile dastand. «Plötzlich war er da», würde sie später sagen. «Was hätte ich tun sollen?» Und das meinte sie durchaus so.
    Als ob sie keine Wahl gehabt hätte, nachdem er erschienen war. Als ob sich ihr Leben in ein Vorleben ohne ihn und ein Nachleben mit ihm aufgeteilt hätte. Als ob alles
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