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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman
Autoren: C.H.Beck
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bis zu jenem Zeitpunkt eine einzige Vorbereitung, ein Vorlauf gewesen wäre, nicht ohne Bedeutung, denn immerhin hatte sie Dinge gesehen und getan, von denen andere nur träumten, und nicht einmal das. Manche dieser Dinge würde sie bis zum Schluss verschweigen.
    Sie war siebenundzwanzig, für die Welt, in der sie lebte, schon eine alte Frau. Auch in ihren amerikanischen Nächten drüben in New York soll sie es sich oft und gerne vorgestellt haben, dass da noch etwas Großes kommen würde. Etwas, das sie für das Warten entschädigen würde. «Etwas Großes, hatte ich gedacht, aber mit seiner Größe habe ich nicht gerechnet», erzählte sie später.
    Jedenfalls bemerkte sie Jakob, als er, die Hände in den Hosentaschen, zu ihrem Vater sagte: «Bruder, eines deiner Pferde liegt tot vor dem Haus des Apothekers.» Er spuckte, dann drückte er die Schuhspitze auf die kleine feuchte Stelle im Staub. «So ein Jammer. Ich liebe Pferde, weißt du. So etwas zu sehen, bricht einem das Herz.» Noch während er das sagte, trat er in den Hof ein und setzte sich an den schweren Tisch, den sie ebenso wie einen Stuhl, ein Bett und mehrere Teppiche hinausgetragen hatten. Das alles stand herum und bildete die Kulisse für die Inszenierung, die er sich ausgedacht hatte.
    Ein Hahn sprang auf den Tisch, plusterte sich auf undkrähte los, obwohl die Sonne bereits hoch stand. «Der Hahn kräht am helllichten Tag», sagte Niclaus, mein künftiger Großvater. «Entweder ist er verrückt geworden, oder er will uns verhöhnen.» Elsa bat einen der Tagelöhner, ihr Wasser in die Handflächen zu gießen, beugte sich leicht vor und wusch sich Gesicht, Arme und Hände, dann ging auch sie zum Tisch. Niclaus folgte ihr.
    Sie musterte Jakob lange mit unbeweglicher Miene, bis er aufsprang, als ob er sich an etwas erinnert hätte. «Du hast es nötiger als ich, zu sitzen, Schwester», sagte er und schob ihr den Stuhl hin. Jetzt konnte ihn Elsa in seiner vollen Größe sehen, sie reichte ihm bis zur Brust. Es war nichts an ihm, was sie nicht mögen konnte. Sie staunte über ihre Gedanken, aber sie war eigentlich noch jung, ihre Blicke waren nicht nach innen gekehrt, so wie später. Als weder sie noch ihr Vater etwas sagten, schob Jakob nach: «Eine furchtbare Nacht, nicht wahr?»
    «Wer sind Sie?», fragte sie.
    «Ich bin Jakob.»
    «Und was wollen Sie hier, Jakob?»
    «Nun, Schwester, ich komme von weit her, aus Bokschan. Du kennst Bokschan vielleicht nicht, es liegt in den Bergen. Ich bin vor mehr als zwei Monaten aufgebrochen, um zu dir zu kommen.»
    «Wenn Sie Arbeit wollen, haben wir gerade sehr viel davon, wie Sie selber sehen können», unterbrach ihn Elsa.
    «Deshalb bin ich nicht da.»
    «Weshalb dann?»
    «Ich will es ja gerade erzählen. Mein Vater war Schwabe. Als ich klein war, ist er mit mir nach Bokschan gezogen. Es ging uns dort ein wenig besser, sogar einen kleinen Stall mit ein paar Tieren hatten wir, aber als Vatergestorben ist, musste ich alles verkaufen. Nur das da ist mir geblieben. Woher er sie hatte, weiß ich nicht.»
    Er holte aus der Hosentasche die goldene Uhr.
    «Danach konnte ich mich irgendwie durchschlagen. Mal bei Eckl an der Wassermühle, mal bei der Benzinpumpe, ja, wir haben sogar Autos in Bokschan. Die Straßen sind löchrig, nur Schotterpisten, so ein Auto gibt bei uns nach zwei oder drei Jahren seinen Geist auf. Ich habe sie repariert und nebenbei auch die Pumpe bedient.
    Dann habe ich bei Augenstein, einem Juden, gearbeitet. Wir haben Stoffe, Scheren, alles für die Schneiderei verkauft. Ich war eine Art Handlanger, der Mann fürs Grobe. Schauen Sie sich meine Hände an. Ich und eine Nähnadel, das wäre zum Lachen. Stoffballen entladen, Lieferungen machen, mehr in die Richtung. Der Augenstein hat sein Geschäft gleich bei der Synagoge, aber ich vergesse, dass du Bokschan nicht kennst.
    Da kommen also zuerst die Synagoge, dann das Eisenwarengeschäft von Laurentz und dann unser Laden. Ich will sagen, der des Juden. Und gegenüber ist unser Hotel, ganz eindrücklich ist es, mit einem Ballsaal im ersten Stock, der so groß ist wie, sagen wir, von hier bis zu den verkohlten Apfelbäumen dort hinten. Ich habe oft bei Augenstein vor dem Laden gestanden und habe mir von unten das bunte Treiben angeschaut. Da hängen zwei, wie sagt man gleich, Lüster an der Decke, alles aus Kristall natürlich. Ich habe geholfen, sie auszuladen, als sie aus Böhmen geliefert worden sind.
    Nun ja, so ein Ball ist nichts für unsereinen,
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